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Wo ist denn hier meine Meinungsfreiheit?

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Cartoon: Randall Munroe alias xkcd, Übersetzung: Anatol Stefanowitsch, Sprachblog.de, Bild unter CC BY-NC 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.5/) (Quelle: xkcd.com / Sprachblog.de)

Rechtspopulist_innen haben es aktuell sehr schwer in Deutschland. Sie dürfen nirgendwo etwas sagen (außer in gefühlt jeder Fernsehtalkshow der letzten Monate). Überall Gebote der „Political Correctness“, überall „linksversiffte“ Eliten, die die Rechtspopulist_innen selbst und mit ihnen natürlich „ihr“ „Volk“ unterdrücken – die fragen frech nach, welche Fälle man erlebt hat, wenn man sich Gewalt durch Geflüchtete ausdenkt! In Sozialen Netzwerken werden Posts gelöscht, wenn man Flüchtlinge in Konzentrationslager schicken möchte, und auf der Straße muss man Gegendemonstrationen ertragen. Was für ein Elend!

Kein Wunder also, dass ein aktueller Lieblingsschlachtruf der neurechten Szenen lautet: Wo ist die Meinungsfreiheit, wenn ich nicht ungestört andere bedrohen und rassistisch abwerten darf? Die Demokratie ist für Rechtspopulist_innen in Gefahr, wenn sie nicht beim Gedenken an die Shoa provozieren dürfen – wie jüngst in Delmenhorst passiert, wo AfD-Mitglieder von der Gedenkveranstaltung ausgeladen wurden, weil sich nicht-rechte Menschen in ihrer Gegenwart unwohl fühlten. Auch  „Wir sind die wahren Demokraten“  funktioniert: In der eigenen Community fühlen sich alle bestätigt, imaginieren sich als schweigende Mehrheit. Und  bei denen, die sich für Demokratie, Gleichwertigkeit, Teilhabe aller einsetzen, gibt es  Irritationen und Diskussionen.  Dürfen wir Rassisten ausgrenzen? Was, wenn wir es nicht tun?

Doch wenn Rechtspopulist_innen die Demokratie herbeizitieren, ist es nur Taktik. Haben Sie schon einmal versucht, auf einer AfD-Facebookseite kritische Kommentare zu hinterlassen? Oder bei einer, die „Patrioten“ oder „Heimatliebe“ oder „Identität“ im Namen trägt?  Wenn Meinungsfreiheit so funktionieren würde, wie Rechtspopulist_innen es für sich fordern, müsste es dann ja stets eine muntere Diskussion geben. Genauso, wie Pressevertreter aller politischen Richtungen bei AfD-Parteitagen willkommen sein müssten – nun, außer in Baden-Württemberg, da hat die AfD sie gerade ausgeladen. Meinungsfreiheit, die Rechtspopulisten meinen, gilt nur für sie selbst. Sie versuchen, Mechanismen demokratischer Meinungsbildung für eigene Zwecke zu nutzen, verletzen dabei aber die grundlegenden Prinzipien demokratischer Kultur: Demokratie ist nicht nur das Recht der Mehrheit – sondern beinhaltet auch Gleichwertigkeit und Freiheitsrechte für alle, inklusive des Schutzes von Minderheiten. Wer das abschaffen will, will Demokratie abschaffen. Auch wenn er oder sie sie großmäulig vor sich her zu tragen vorgibt.

Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren, wenn aktuell der Rechtspopulismus und aggressiver Nationalismus europa- und weltweit Zulauf in nicht vorhersehbarem Ausmaß erhalten. Es geht  eben nicht nur um Fragen, wie sexuelle Vielfalt in der Grundschule Thema sein kann oder ob Geflüchtete es zu gut haben, wenn sie in einer Turnhalle hinter einer Stoffwand schlafen, sondern es geht um die demokratischen Grundwerte, die uns allen in Deutschland aktuell ein Leben in Frieden und nach eigener Façon ermöglichen:  Gleichwertigkeit ist die Grundlage unser persönlichen Lebensfreiheit, längst noch nicht für alle erreicht, aber wir sind auf einem guten Weg – einem Weg, den die Rechtspopulist_innen nun zerstören wollen, indem sie die egoistischsten Gefühle ansprechen, die Etabliertenvorrechte :  „Wir“ vs. „Die“, mehr Rechte, mehr Gelder, mehr Einfluss für mich, weniger für andere, das spricht viele an und beschädigt doch uns alle. Wir sollten nicht müde werden, immer wieder darauf hinzuweisen, was die Konsequenz dieses Denkens ist, wie zutiefst ungerecht dieses Prinzip ist und wie wenig es funktioniert.  Auf der politischen Ebene? Ja, auch. Vor allem aber im Alltag. Jedes Mal, bei jedem rassistischen Spruch, bei jeder spitzen Bemerkung, warum die Geflüchteten so schnell einen Kitaplatz bekommen haben. Denn das ist demokratische Kultur, das ist Meinungsfreiheit: Jeder darf auf unreflektierte Dinge sagen. Er oder sie kann aber nicht erwarten, dass das ohne Widerspruch bleibt.

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