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Wie antisemitisch ist die AfD?

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Eher taktisch ist das Verhältnis einiger AfD-Fans zu Israel und zum Judentum. (Quelle: Screnshot Twitter)

 

AfD wirbt um Juden

„Wir als AfD sind bei euch! Wir verstehen eure Ängste und Sorgen!“ (NW) – so warb die AfD in Paderborn um die Teilnahme von Jüdinnen und Juden an einer Demonstration im Februar 2016. Kein Einzelfall. In mehreren Städten versuchte die AfD Jüdische Verbände oder Einzelpersonen für Parteiveranstaltungen zu gewinnen. Die Reaktionen der Jüdischen Gemeinden waren einhellig. Sie warnten ihre Mitglieder davor, sich von der Rechtsaußenpartei instrumentalisieren lassen. „Die AfD tritt manchmal mit der Idee an uns heran, dass wir uns doch mit ihnen gegen islamischen Antisemitismus wenden sollten. Aber ich habe mir deren Veranstaltungen angeschaut: Diese Leute hassen heute die Muslime, und morgen hassen sie uns“, so Reinhard Schramm, Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen. Diese Haltung verwundert nicht, denn es gibt schon heute zahlreicher antisemitische Äußerungen aus den Reihen der AfD. 

Antisemitische Postings

Immer wieder haben AfD-Politiker_innen antisemitische Überzeugungen kundgetan, insbesondere auf Facebook. Manchmal  hatte das  innerparteiliche Konsequenzen, manchmal nicht. Einige wenige Beispiele: 

Jan-Ulrich Weiß von der AfD Brandenburg teilte eine antisemitische Karikatur auf Facebook und wurde  später aus der Fraktion ausgeschlossen (vgl. taz).

AfD-Mitglied Gunnar Baumgart aus Bad Münder, früheres Vorstandsmitglied des AfD-Kreisverbandes Weserbergland, postete auf Facebook einen Artikel, in dem es hieß: „Zyklon B diente zum Schutze des Lebens. Kein einziger Jude ist durch eine Tötungs-Gaskammer oder einen Tötungs-Gaswagen umgebracht worden.“. Baumgart bestritt, ein Holocaustleugner zu sein, kündigte aber an, aus der Partei auszutreten, um Schaden von ihr abzuwenden (vgl. haz).

Dirk Hoffmann aus dem AfD-Vorstand Sachsen-Anhalt bediente sich auf Facebook klassischer antisemitischer Ressentiments. Er relativierte den Holocaust und warf den Israelis vor, eigentlichschlimmer als die Nazis zu sein: „Gerade die Israelis werfen und [sic!] Deutschen immer wieder den Haulocaust [sic!] vor. Was aber die Israelis in Gaza machen ist mindestens genauso schlimm. Was in Gaza abläuft kann man denke ich als Völkermord bezeichnen.“ (vgl. Facebook). Innerparteiliche Konsequenz: Die AfD stellte Hoffmann in der Lutherstadt Wittenberg als Oberbürgermeisterkandidat auf.

Sein Parteikollege Volker Olenicak gab sich nicht mit einem antisemitischen Posting zufrieden. Auch er wirft in geteilten Postings Israel einen Genozid an den Palästinenser_innen vor, teilt Videos und Bilder, in denen suggeriert wird, der Mossad habe den FDP-Politiker Jürgen Möllemann umgebracht, und antisemitische Verschwörungsphantasien, in denen die Rothschilds bezichtigt werden, die nächste Wirtschaftskrise vorbereiten. Die AfD hielt dies nicht davon hab, Olenicak in Bitterfeld als Direktkandidaten aufzustellen. Mit Erfolg: Volker Olenicak erreichte 33,4 Prozent der Erststimmen in Bitterfeld und zog als Direktkandidat in den Landtag Sachsen-Anhalts ein. 

Antisemitismusbekämpfung kein Thema, es sei denn …

Klare Positionierung gegen Antisemitismus – innerparteilich wie gesamtgesellschaftlich – sind bei der AfD eher selten. Wenn man auf der Internetpräsenz der Bundespartei den Suchbegriff „Antisemitismus“ eingibt, erscheinen ganze zwei Treffer – beide aus dem Jahr 2014. Der eine Treffer ist ein Brief des inzwischen geschassten Parteivorsitzenden Bernd Lucke an die AfD-Mitglieder, in dem er erklärte, „dass die AfD nicht den Schatten eines Zweifels daran lassen darf, dass politischer Extremismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und religiöse Intoleranz mit dem Gedankengut der AfD als einer demokratischen Rechtsstaatspartei unvereinbar sind“. Dieser Satz wirkt im Jahr 2016 eher wie Ironie. Die zweite vorfindbare Stellungnahme: Als im Zuge des Gaza-Krieges 2014 in Deutschland eine Welle antisemitischer Übergriffe und Vorfälle gab, erklärte Partei-Vize Alexander Gauland: „Wieder einmal zeigt sich, dass multikulturelle Träume an der Wirklichkeit zerschellen, wenn der Hass stärker ist, als die integrierenden Tendenzen der aufnehmenden Gesellschaft. Es ist unser aller Pflicht, diesem Hass entgegenzutreten und klar zwischen erlaubtem Protest gegen Israel einerseits und menschenfeindlichem Antisemitismus andererseits zu unterscheiden. Letzterem darf kein Platz in unserer Gesellschaft eingeräumt werden.“

Dieses Statement gegen Antisemitismus ist eng mit einer Positionierung gegen Einwanderung verbunden. Das knüpft an die Versuche der AfD an, jüdische Gemeinden zu instrumentalisieren, um sich gemeinsam gegen „islamischen Antisemitismus“ zu positionieren. Die Bekämpfung von Antisemitismus ist für die AfD scheinbar nur dann ein Thema, wenn dies gegen Einwanderung allgemein und gegen Muslim_innen im Konkreten verwendet werden kann. 

Antisemitische Verschwörungstheorien

Während die  instrumentelle Positionierung gegen Antisemitismus also ins Konzept passt, wenn damit  gegen politische Gegner_innen und insbesondere Muslim_innen und Geflüchtete gehetzt werden kann,  endet die Solidarität sehr schnell, wenn Verschwörungsideolog_innen innerhalb der AfD zu erklären versuchen, warum aktuell so viele Menschen sich auf den Weg nach Europa machen. Denn dann werden alte Verschwörungsvorstellungen hervorgeholt, dass „die Juden“ hinter der Migration nach Europa stecken.  

Schon 2013 zitierte die Frankfurter Rundschau Äußerungen des damaligen Schatzmeisters der AfD Hessen, Peter Ziemann. Demnach fördere der Staat „die Unterwanderung der Gesellschaft mit kriminellen Migranten“. Offenbar in einem antisemitischen Weltbild verhaftet, weiß er auch, wer dabei die Fäden zieht: „internationale Mafiosi, die unter dem Deckmantel von Demokratie, Humanismus und Multikulti die Menschheit in einem öko-faschistischen Gefängnisplaneten versklaven wollen“. Konkret seien das: die jüdische Bankiersfamilie Rothschild, der liberale jüdisch-amerikanische Milliardär George Soros, die Unternehmerfamilie Rockefeller „und die ganzen freimaurerisch organisierten Tarnorganisationen, die ein Großteil unserer Politiker-Attrappen über ihre Führungsoffiziere steuern“. Außerdem sprach sich  Ziemann auch gleich für die Abschaffung der Demokratie aus. Er musste zurücktreten.

Doch sein Weltbild wird auch von weiteren Funktionärsträger_innen in der AfD geteilt. Anfang 2016 hielt Iris Wassill, 1. Stellvertretende Vorsitzende vom Kreisverband München – Ost, einen Vortrag mit dem Titel: „Machteliten am Beispiel George Soros“. Auch ihre Hauptfeinde im Vortrag waren Soros, Rothschild und Rockefeller und andere im vermeintlich geheimen agierende „Superreiche“. Auch Wassill scheint zutiefst in einem verschwörungsideologischen Weltbild mit vielen Bezugspunkten zum Antisemitismus verhaftet zu sein. Sie vermeidet es im Vortrag zwar tunlichst, überhaupt das Wort Jude oder jüdisch in den Mund zu nehmen, dennoch sind ihre verwendeten Assoziationen häufig, zumindest strukturell, antisemitisch. Fast im Minutentakt tauchen in ihrem Vortrag Ressentiments und Verschwörungsphantasien auf, die Wassill auf „die Superreichen“ allgemein oder Soros, Rothschild oder Rockefeller direkt anwendet: Sie, die Superreichen, seien häufig staatenlos, agierten im Verborgenen, ihr Namen und Gesichter seien zumeist nicht bekannt, sie manipulierten die Presse, sie sind die wahren Strippenzieher der weltweiten Politik, zetteln Revolutionen an usw.. All diese Bilder und Assoziationen sind jahrhundertalte antisemitische Ressentiments. Auch die aktuell in Sozialen Netzwerken stark verbreitete antisemitische Verschwörungsphantasie, „die Juden“ würden hinter den aktuellen Flüchtlingsbewegungen nach Europa stecken, findet sich in leicht abgewandelter Form in ihrem Vortrag, direkt auf Soros gemünzt. Die Referentin stellt in den Raum, ob Soros nicht maßgeblich hinter den aktuellen Flüchtlingsbewegungen nach Europa steckt. Am Ende empfiehlt sie allen, die wissen wollen, wer hinter dem 2. Weltkrieg „gesteckt ist“ ein Buch aus dem Grabert-Verlag, also einem der ältesten und bedeutendsten rechtsextremen Verlagen in Deutschland. 

AfD und Israel

Anfang 2016 besuchte AfD-Parteichefin Frauke Petry Israel, um dort einen Vortrag in Tel Aviv zu halten. Das Verhältnis zu Israel ist in der AfD sehr umstritten. Als die „Jüdische Allgemeine“ über Petrys Reise berichtete, beeilte sich Petry zu betonen, dass ihre Israel-Reise »einen rein privaten Hintergrund« habe.

Petrys Charmeoffensive gegenüber Israel ging aber auch danach weiter. Anfang April gab sie der zweitgrößten israelischen Tageszeitung „Yedioth Ahronoth“ ein Exklusivinterview, in dem sie betonte, sich gegen Antisemitismus einzusetzen. Über die ursprüngliche Positionierung im Programmentwurf der AfD gegen rituelle Beschneidung bei Jungen und das Schächten von Tieren wird auch in Israel berichtet. So stehen die Inhalte der AfD einem von Petry beabsichtigten positiven Bild in Israel entgegen.

Dass Petrys Israelreise parteiintern auf Kritik gestoßen sein dürfte, lassen die zahlreichen Äußerungen gegen Israel durch AfD-Mitglieder und -Verbände in Sozialen Netzwerken vermuten. Neben den schon thematisierten antiisraelischen und antisemitischen Facebook-Postings einzelner AfD-Mitglieder findet sich beispielsweise auf  der Homepage der AfD Altöttingen-Mühldorf einen Redebeitrag zum Nachlesen, in dem Israel beschuldigt wird, die Terrororganisation IS zu unterstützen und so, zumindest indirekt, mitverantwortlich für nach Deutschland kommende Flüchtlinge zu sein.

Das Berliner AfD-Mitglied Heribert Eisenhardt zeigt etwa einen taktischer Umgang mit dem Staat Israel. So ist er mitunter montags Redner auf der BärGida-Demonstration, an der sich auch JewGida samt Israel-Flagge beteiligen (vgl. zu JewGida NGN). Am Samstag marschiert Eisenhardt dann zusammen mit Nazifunktionären und deren antiisraelischen und antisemitischen Transparenten mit Slogans wie „Blut und Öl. Ein Gesicht. USrael“. Die Distanzierung von der Teilnahme an der Demonstration lehnte die AfD Berlin ab (vgl. taz). Ausgerechnet am 20. April, also an Adolf Hitlers Geburtstag, postet die AfD Berlin dann auf  Twitter ein Foto mit einem AfD-Luftballon und der israelischen Flagge. Mit der Zeile „Wir lieben Deutschland & Israel“.

Taktische Solidarität bei europäischen Rechtspopulist_innen

Diese Taktik ist nicht neu. Schon in den 1980er Jahren umwarb der Gründer des rechtsextremen Front National, Jean-Marie Le Pen, jüdische Gemeinden und versuchte, bei Ihnen mit pro-israelischen Stellungnahmen zu punkten. Mit dieser Taktik scheiterte er jedoch. Fortan machte er aus seinen antisemitischen Ansichten kein Hehl mehr. Mit dem Aufkommen islamfeindlicher, rechtspopulistischer Parteien in Europa hat diese Taktik von Le Pen aus den 1980er Jahren wieder Konjunktur. In einigen europäischen rechtspopulistischen Parteien gibt es seit längerem eine, zumindest öffentlich bekundete, Sympathie für Israel – als vermeintliches Bollwerk gegen den Islam. Hierbei blenden die Rechtspopulist_innen gerne aus, dass prozentual in Israel mehr als dreimal so viele Muslim_innen leben wie etwa in Deutschland. Spätestens seit der Jerusalemer-Erklärung (Link:) verschiedener rechtspopulistischen Parteien, ist bekannt, dass islamfeindliche Parteien mitunter eine taktische Solidarität mit Israel pflegen (vgl. NGN).

Diese strategische Solidarität sagt aber nichts über ihren generellen Antisemitismus aus. In jüngster Vergangenheit lässt sich das gut an der Pro-Bewegung ablesen. Sie unterschrieb auch die Jerusalemer-Erklärung und veranstaltete 2011 gar eine „deutsch-israelische Konferenz“. Diese wurde als „Zusammenarbeit deutscher und israelischer Patrioten“ unter dem Motto „Islamisierung  stoppen – Demokratie durchsetzen“ angekündigt. An dieser nahm u.a. auch der damalige Hoffnungsträger der Pro-Bewegung, der schwedische Unternehmer Patrick Brinkmann, teil. Er hatte im Jahr zuvor lauthals „eine deutsche Rechte ohne Antisemitismus“ ausgerufen. Dies sollte vor allem in „israelfreundlichen“ Verhalten zum Ausdruck gebracht werden. Wie schwierig es ist, für eine extreme Rechten nach außen als eine „deutsche Rechte ohne Antisemitismus“ aufzutreten zeigte sich sehr schnell. Selbst Brinkmann hielt sich bald nicht mehr an seine taktische Vorgabe. So machte er den Zentralrat der Juden in Deutschland für die „Islamisierung unseres Landes“ verantwortlich. Dessen damaligen Generalsekretär Stephan Kramer forderte er auf, „zum Islam zu konvertieren“, da man „am Ende immer zu dem zugehören (soll), wo das Herz schlägt“. Den wegen antiisraelischen und antisemitischen Äußerungen kritisierten und 2003 verstorbenen FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann stilisierte er zum Opfer einer Verschwörung: „Und immer, wenn jemand in Deutschland oder Österreich die falschen Fragen stellt, dann macht er, wie Jörg Haider einen mysteriösen Autounfall“ oder „stürzt wie Jürgen Möllemann mit dem Fallschirm ab“. Ähnliche Töne, Jüdinnen und Juden für die Migration nach Deutschland verantwortlich zu machen, den Tod Möllemanns mit einer Verschwörung in Verbindung zu bringen, sind auch von Funktionären der AfD zu vernehmen. 

Comeback für Hohmann und Gläser

Ronald Gläser, führender Kopf der AfD in Berlin und ehemaliger Funktionär in der Berliner FDP, organisierte 2003, unmittelbar nach dem Tod Jürgen Möllemanns, eine Mahnwache vor der FDP-Zentrale. Haupttenor der Mahnwache war, Möllemann habe kein Selbstmord begangen, sondern sei vom israelischen Geheimdienst Mossad umgebracht worden. Auch Gläser sah das als wahrscheinlich an. Gegenüber Spiegel-Online erklärte er: „Es kann doch auch sein, dass ihn jemand ausgeknipst hat […]. Das könnte ein Geheimdienst eines kleinen Landes im Nahen Osten gewesen sein.“ Den Grund für den Mord lieferte Gläser gleich mit. Möllemann habe eine neue Partei gründen wollen. Dies hätte, so Gläser, die deutsche Außenpolitik wahrscheinlich geändert. Dann wäre Kritik an Israel nicht mehr aus übertriebener Political Correctness unterlassen worden, spekulierte er damals. Vielleicht sieht Gläser in der AfD nun diese neue Partei. In der Berliner AfD hat er es zumindest schon in den Vorstand geschafft.

Auch ein weitaus prominenterer Protagonist einer anderen Antisemitismus-Diskussion hat in der AfD eine neue Heimat gefunden: Martin Hohmann. Mit seiner als antisemitisch kritisierten Rede zum 3. Oktober 2003 löste der damalige Bundestagsabgeordnete der CDU eine Antisemitismusdiskussion aus (vgl. mut). Der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, kritisierte die Rede als einen „Griff in die unterste Schublade des widerlichen Antisemitismus“. Die CDU schloss ihn aufgrund dieser Rede aus Fraktion und Partei aus. Jetzt hat Hohmann wieder ein Parteiamt inne. Bei den Kommunalwahlen in Hessen im März zog Hohmann auf Listenplatz 1 der AfD in den Fuldaer Kreistag ein. 

Deutsche Geschichte als Störfaktor

Dass Positionen wie die von Hohmann und Gläser in den Reihen der AfD durchaus auf breitere Zustimmung stoßen, lässt sich u.a. an deren Grundsatzprogramm-Entwurf ablesen. Dort heißt es: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst“.

Parteichefin Petry sprach in dem bereits erwähnten Interview mit der israelischen Tageszeitung „Yedioth Ahronoth“ davon, dass die deutsche Politik „unter einem Schuldtrauma“ leidet und eine „Denkdiktatur“ entstanden sei (vgl. NZZ).

Parteivize Gauland sprach gegenüber der „ZEIT“ davon, dass Hitler den Deutschen weitgehend das Rückgrat gebrochen habe und Deutschland sich immer noch mit Auschwitz herumschlagen müsse.

Im Wahlprogramm 2016 der AfD Sachsen-Anhalt werden die Jahre von 1933 bis 1945 als die „zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte“ betitelt.

All diese Aussagen zeigen, dass eine Geschichtsauffassung in der AfD vorherrscht, die zumindest den idealen Nährboden für sekundären Antisemitismus bietet, wie es auch die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, formulierte. Bei diesem Schlussstrich- und Schuldabwehr-Antisemitismus werden Jüdinnen und Juden beschuldigt, immer wieder „die Vergangenheit“ zu thematisieren, um die Deutschen klein zu halten.

Im Gegensatz zu vielen anderen auf dem Bundesparteitag im Mai 2016 sehr kontrovers diskutierten Themen in der Partei herrscht hier ein Konsens, dass die Deutschen wieder patriotischer werden sollen und die Befassung mit dem Nationalsozialismus dem fundamental im Wege stehe. 

Holocaustleugnung als deutsche Freiheitsbewegung?

Der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon von der AfD geht noch einen Schritt weiter. Er stellt in seinem Buch „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“ die nur als rhetorisch zu verstehende Frage: „Könnte es vielleicht sein, dass, wie der Jude L. Deutsch schreibt, die Juden genügend Gründe für die ihnen entgegengebrachten Feindseligkeiten geliefert haben?“ Allein schon die Formulierung „der Jude L. Deutsch“ erinnert sehr an die Sprache des Nationalsozialismus. Jüdinnen und Juden die Schuld am Antisemitismus zu geben ist eine der perfidesten und gängigsten Spielarten des Antisemitismus. Gedeon spricht auch davon, dass die „Holocaust-Ideologie zu einer Art Zivilreligion des Westens“ geworden ist. Gedeon fragt „ob Religionsfreiheit auch gegenüber dieser neuen Zivilreligion gilt oder nicht“. Da verwundert es nicht, dass er den rechtsextremen Holocaust-Leugner Horst Mahler als „Geschichtsrevisionisten und Dissidenten“ bezeichnet, und die Verurteilung Mahlers (u.a. wegen Holocaustleugnung, Zeigen des Hitlergrußes) als „Repression gegenüber politisch Andersdenkenden“ kritisiert. Gedeon sieht Mahler in einer Reihe mit dem chinesische Schriftsteller Liu Xiaobo, der wegen Unterstützung der Freiheitsbewegung auf den Tian’anmen-Platz 1989 verhaftet wurde. Das klingt so, als sei für Gedeon Holocaustleugnung eine deutsche Freiheitsbewegung. Für Gedeon spiegelt sich in der Strafbarkeit der Holocaust-Leugnung der „zionistische Einfluss in einer Einschränkung der Meinungsfreiheit“ wider.

Eines der, wenn nicht das wirkungsmächtigste Werke des Antisemitismus, die „Protokolle der Weisen von Zion“ bezeichnet Gedeon als intellektuell „hochwertig, ja genial“ und bezweifelt, dass es sich dabei um eine Fälschung handelt. Dass dies zweifelsfrei belegt wurde, sogar in einem Gerichtsprozess, tut Gedeon als „unwissenschaftlich“ ab. Zudem könnten die Protokolle gar nicht antisemitisch sein, so Gedeon, im Titel stünde doch „die Weisen von Zion“, daher seien sie nur antizionistisch. Und er geht noch weiter: „Bei den Urhebern der Protokolle geht es also um zionistische Cliquen, von denen einige sicher nach diesem Konzept arbeiten dürften. Dass sie dabei im 20. Jahrhundert sehr erfolgreich waren, wird deutlich, wenn man sich gewisse Analogien zwischen der in den Protokollen propagierten politischen Strategie und Taktik und zum Beispiel den politischen Methoden der Brüsseler EU vor Augen hält“.

Solche Positionen sind anscheinend kein Hindernis Karriere in der baden-württembergischen AfD zu machen. Das ist beachtlich, denn die AfD Baden Württemberg postuliert sich unter ihrem Fraktionschef Jörg Meuthen, der gleichzeitig auch AfD-Bundesvorsitzender ist, als Gegenpol zum eher völkischen Flügel um Björn Höcke. 

AfD-Grundsatzprogramm: Kopftuchverbot heißt immer auch Kipa-Verbot

Als der erste Entwurf eines Grundsatzprogramms öffentlich wurde, gab es harsche Kritik. Die AfD forderte ein Verbot des Schächtens von Tieren und der rituellen Jungenbeschneidung. Insbesondere das Beschneidungsverbot würde real die Ausübung der islamischen und jüdischen Religion in Deutschland sehr erschweren, in Teilen verunmöglichen. Hier sah sich die AfD dann mit Antisemitismusvorwürfen auch von jüdischer Seite konfrontiert. Im offiziellen Entwurf der Parteiführung wurden diese Forderungen daher abgemildert. Dies zeigt, dass die AfD versucht, nicht als antisemitisch wahrgenommen zu werden. Der Vorwurf, antiislamisch zu sein, trifft sie viel weniger als der, antisemitisch zu sein. Durch die teils ähnlichen Praktiken von Islam und Judentum kommt die AfD aber nicht darum herum, mit ihrem Antiislam-Kurs auch das Judentum zu treffen.

Und dies wird zumindest in Kauf genommen. Im Parteiprogramm wurde dementsprechend das Schächtverbot als Forderung festgeschrieben. Parteivize Gauland erklärte: „Das Schächten ist in unserer Kultur ein Problem“ und verstieg sich zur Aussage, dass das Schächten nicht zur jüdischen Religion gehöre. Was zur jüdischen Religion gehört und was nicht, bestimmt jetzt anscheinend auch schon die AfD. Ebenso beinhalten Forderungen nach einem Kopftuchverbot auch immer ein Verbot des Kipa-Tragens, das versucht die AfD aber nicht zu thematisieren.

Gauland begründete nach dem Stuttgarter Parteitag den Antiislamkurs seiner Partei u.a. damit, dass der Islam nie eine kulturelle Rolle in Deutschland gespielt habe. Einige in der AfD sehen dies auch so für das Judentum. In einem Änderungsantrag zum Parteiprogramm wurde dies beispielsweise explizit im Antrag von Kreisverband Meißen betont. Es müsse bestritten werden, dass die jüdische Kultur eine tragenden und tiefgreifenden Einfluss auf die „deutsche und europäische Identität“ ausgeübt hat. Daher dürfe nicht von jüdisch-christlichen, sondern müsse von christlich-humanistischen Grundlagen unserer Kultur gesprochen werden.

Andere in der AfD betonten, dass die Jüdinnen und Juden sehr wohl – bis zum Holocaust – „Deutschlands kulturelle Identität“ maßgeblich mitgeprägt hätten. Interessant ist hierbei auch, dass die Formulierung „jüdisch-christlich“ im Entwurf des Parteivorstandes nur einmal auftaucht, nämlich genau dann, wenn es darum geht einen Gegensatz zur islamischen Glaubenspraxis zu formulieren. Sonst spricht die AfD im Antragstext von christlich-humanistischen Werten.

Trotz dieses offensichtlich instrumentellen Verhältnisses zum Judentum sieht sich die AfD andererseits als „Retter“ des deutschen Judentums – gegen „den Islam“. Nachdem die AfD-Parteitagsbeschlüsse von Stuttgart von verschiedenen jüdischen Prominenten wie Michel Friedmann und jüdischen Institutionen wie dem Zentralrat und der European Jewish Association scharf kritisiert wurden, warfen AfD-Anhänger_innen ihnen auf Facebook vor, unter Drogeneinfluss zu stehen und das deutsche Judentum zu verraten. Die AfD sei doch die letzte Rettung der deutschen Juden vorm islamisierten Antisemitismus.

Zudem spielen sich die AfD-Mitglieder als Retter des deutschen Judentums auf. 

Parallelen und Unterschiede von Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus

Die AfD versucht also immer wieder, im Zuge ihres Anti-Islam-Kurses das Judentum zu instrumentalisieren. Dabei sind jedoch viele Gedankenbilder des antimuslimischen Rassismus durch die jahrhundertlange antijüdische und antisemitische gesellschaftliche Tradierung wesentlich mit beeinflusst worden. Hätte es also nie einen Antijudaismus und Antisemitismus gegeben, die Bilder im antimuslimischen Rassismus wären andere. Dennoch muss betont werden, dass es trotz aus dem Antisemitismus entliehener Vorstellungen wesentliche Charakterunterschiede von Antisemitismus und (antimuslimischen) Rassismus gibt. So ist beispielsweise im Antisemitismus die Eliminierung viel stärker angelegt als im (antimuslimischen) Rassismus, welcher eher auf ethnopluralistische Vorstellungen setzt. Diese Unterschiede treffen aber keine Aussage darüber, dass die eine Ungleichwertigkeits-Ideologie schlimmer als die andere sei.

Dennoch heißt es aber auch, das aus dem Antisemitismus entliehenen und angepassten Vorstellungswelten  und Abwertungen in der rechtspopulistischen, antimuslimischen Szene sehr präsent sind und sich jederzeit auch wieder gegen Jüdinnen und Juden richten können. Auch an den zitierten antisemitischen Vorstellungen, dass „die Juden“ hinter der aktuellen Migration und der imaginierte „Islamisierung des Abendlandes“ stecken, zeigt sich, wie eng verbunden Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus häufig sind.

Strukturelle Einfallstore in der AFD für Antisemitismus

Auch der Bundesparteitag in Stuttgart im Mai 2016 hat wieder gezeigt: Die AfD und ihre Wähler_innen führen einen Abwehrkampf gegen die fortschreitende Moderne. Globalisierung kritisieren sie nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Gesellschaft als Ganzes. Die AfD steht für eine sich gegen die Moderne richtende „Damals war alles besser“-Abwehrbewegung. .Antisemitismus war schon immer eine moderne Weltanschauung mit antimoderner Stoßrichtung. Eine antimoderne Bewegung ist nicht automatisch antisemitisch, aber anfällig für den Reflex, Gründe für die Moderne zu personalisieren und antisemitisch zu erklären.

Verbunden ist diese antimoderne Positionierung in Teilen der AfD mit einer völkischen und einer antisemitischen Ideologie. Sie definieren „die Deutschen“, die Nation als Volksgemeinschaft (also als quasi natürliche Gemeinschaft von untereinander Verwandten), zu der Muslim_innen als nicht zugehörig definiert werden. Sie sagen es meist aus taktischen Gründen oft nicht, aber auch Jüdinnen und Juden werden im völkischen Verständnis aus der deutschen Nation mit christlichen Wertvorstellungen meist herausdefiniert. In den Worten von Björn Höcke klingt das dann so: „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar“.

Diese völkische Ideologie ist kein Konsens in der AfD. Die Vorstellung der Deutschen als quasi natürliche Gemeinschaft ist aber durchaus verbreitet. Zudem gibt es die Vorstellung, dass die Deutschen als vermeintliche natürliche Gemeinschaft auch einen gemeinsamen Willen, den „Volkswillen“ haben. Es herrscht die verschwörungsideologische Vorstellung vor, dass wenige, sehr mächtige Personen und Eliten gegen diesen Volkswillen agieren. Daher sind auch auf AfD-Demonstrationen häufig „Volksverräter“-Rufe zu hören. Diese Ideologie ist stark antisemitisch aufgeladen. Auch wenn aktuell  der „Hauptfeind“ gerade der Islam ist: Dass dieser Hass gegenüber Muslim_innen sich schnell auch gegen Jüdinnen und Juden und andere Minderheiten richten kann, ist naheliegend. 

Fazit

Trotz all dieser Punkte: Die AfD ist keine genuin antisemitische Partei. Die derzeit in Teilen noch sehr heterogene Partei wird durch ideologische Klammern vereint. Gauland macht sich da auch keine Illusionen: „Sie [die AfD] ist eine rechtspopulistische Protestpartei, und der Protest ist der Kitt“. Hier ist vor allem ihre Inszenierung als Anti-Establishment-Partei zu nennen, und eine thematische Positionierung gegen die EU in ihrer jetzigen Form, antimuslimische Agitation und gegen einen imaginierten „Gender-Wahn“ zu nennen. Antisemitismus ist keine dieser ideologischen Klammern. .Durch ihre Inszenierung als neue Partei, die als einzige die Interessen des „Volkes“ gegen das politische System, das Establishment, die Mächtigen, und die „Lügenpresse“ vertritt, bietet die AfD viele Identifikationsangebote an Personen mit einem antisemitischen Weltbild. Diese sind dementsprechend auch zahlreich in der Partei vertreten.

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