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Erneuter Angriff von tschechischen Neonazis

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Von Karl Kirschbaum, Prag

Erst vor vier Wochen hatten sich etwa 200 tschechische Neonazis stundenlange Auseinandersetzungen mit schwer bewaffneten Polizeieinheiten geliefert. Nur gegen einen Bruchteil der Angreifer wurde seitdem ermittelt, heute ist von insgesamt zwei eingeleiteten Verfahren die Rede.

Trotz dieser Erfahrungen genehmigte die Stadtverwaltung für Montag eine Demonstration der „D?lnická strana“ auf dem „Platz des Friedens“ im Zentrum der Innenstadt und einen anschließenden Protestzug direkt in das „Zigeunerviertel“ Janov, das schon zwei Wochen vorher zum Brennpunkt des Geschehens geworden war.

Dabei hatte die regionale Tageszeitung Mostecký deník schon zwei Tage vor der Aktion getitelt: „Roma befürchten Blutvergießen“. Am Tag nach der erneuten Straßenschlacht folgt die Schlagzeile der landesweit auflagenstärksten Tageszeitung MFDnes: „Größter Angriff der Rassisten“.

Zu den Veranstaltungen hatte neben der rechtsextremen Partei auch die in Tschechien verbotene Neonaziorganisation „Národní Odpor“ („Nationaler Widerstand“) aufgerufen ? unter dem Motto „Schluss mit den Samthandschuhen“. Als „Samtene Revolution“ wird in Tschechien die Wende im November 1989 bezeichnet, die eingeleitet durch eine von der Polizei gewaltsam niedergeschlagene Demonstration am 17. November schließlich zum Sturz des Kommunismus führte. Dieser Tag wurde vor zwei Jahren zum staatlichen Feiertag ernannt.

Die Protestveranstaltung der erst kürzlich vom tschechischen Innenministerium als verbotswürdig eingestuften Arbeiterpartei begann am frühen Nachmittag relativ ruhig. Tomá? Vandas, der Parteivorsitzende, verkündete: „Das derzeitige politische System ist schlimmer als der Kommunismus“ und rief die Bewohner zum Sturz ihres Bürgermeisters bei den nächsten Wahlen auf.

Unterstützt wurde die Partei auch von Gesinnungsgenossen aus dem Ausland. So traten Marián Kotleba, ehemaliger Vorsitzender der vom slowakischen Verfassungsgericht verbotenen ultranationalistischen „Slovenská pospolitost“ und Radovan Novotný, Vorsitzender der Nachfolgeorganisation „Nové slobodné Slovensko“ als Sprecher auf.

Während sich die Neonazis auf dem „Platz des Friedens“ versammelten, demonstrierten etwa 300 teilweise aus der Umgebung angereiste Roma in Janov friedlich gegen den drohenden Überfall auf ihre Familien. In angespannter Stimmung hielten teils maskierte junge Männer Pappschilder mit Aufschriften wie „Frieden ? die Grundlage des Lebens“ oder „Janov ist unsere Heimat“ hoch. Über Megaphon hatte die Polizei aufgerufen, an diesem Tag Kinder nicht ohne Begleitung draußen spielen zu lassen. Als sich der Marsch der Neonazis in Richtung Janov in Bewegung setzte, schlossen sich ihm Hunderte von Schaulustigen an.

Bereits auf dem Weg kam es zu kleinen Scharmützeln mit der Polizei, die etwa tausend Beamte aus den umliegenden Bezirken zusammen gezogen hatte. Schon jetzt musste die Polizeiführung feststellen, dass die Sicherheitsvorkehrungen und Fahrzeugkontrollen im Vorfeld der Aktion nicht zum gewünschten Ziel geführt hatten: Der von militanten Neonazis angeführte Demonstrationszug war mit Leuchtmunition, scharfen Feuerwerkskörpern und Molotow-Cocktails bewaffnet.

Kurz vor der mehrheitlich von Roma bewohnten Plattenbausiedlung von Janov riegelte die Polizei die Zugangsstraße mit einer drei Meter hohen Drahtgitterwand ab und hinderte die Neonazis so daran, ihren Marsch auf der offiziell genehmigten Route mitten in die Plattenbausiedlung fortzusetzen. Doch auch in dieser Situation erklärte die Polizei die Demonstration nicht für offiziell aufgelöst. Ihr Versuch, die Gewalttäter einzukesseln, misslang.

Hagel von Pflastersteinen gegen Polizeisperre

Als die Neonazis die Sperre der Polizei mit einem Hagel von Pflastersteinen beantworteten, versuchte diese, die Rechtsextremen in den südlichen Teil von Janov abzudrängen. Was dann folgte, erinnerte an die Straßenschlacht vom vergangenen Monat: Zwischen Einfamilienhäusern und Schrebergärten lieferten sich Neonazis und Polizei ein zweistündiges Gefecht. Die Polizei setzte Wasserwerfer, Tränengas und Rauchbomben ein. Im Laufe der Kämpfe wurde dabei ein Polizeifahrzeug in Brand gesteckt und eine Kamerafrau des Fernsehsenders Nova verletzt. Ein weiterer Kameramann wirft der Spezialeinheit der Polizei vor, ihn brutal zusammengeschlagen zu haben, obwohl er sichtbar als Medienvertreter gekennzeichnet war. Nach offiziell nicht bestätigten Angaben hat ein Neonazi beim Versuch, eine Rauchbombe der Polizei zurückzuwerfen, schwere Verbrennung im Gesicht und an den Händen erlitten. Er verlor dabei mehrere Finger und wurde noch am selben Tag in ein Spezialkrankenhaus in Prag eingeliefert.

Erst nach Anbruch der Dunkelheit beruhigte sich die Lage in Janov. Die Polizei befahl den demonstrierenden Roma, in ihre Wohnungen zurück zu kehren. Sie selbst blieb bis in die späte Nacht vor Ort, da eine Gruppe von etwa 150 Neonazis im angrenzenden Waldstück ihren Plan, das Viertel wie vor zwei Wochen doch noch mit Hilfe von Ortsansässigen zu erobern, partout nicht aufgeben wollte.

Nach ersten Polizeiangaben wurden 16 Menschen teils schwer verletzt, darunter zehn Polizisten, 16 Personen wurden vorläufig festgenommen und des Landfriedensbruchs beschuldigt. Einer Teilnehmerin wird Volksverhetzung vorgeworfen. Bislang wurde kein Strafverfahren wegen Körperverletzung oder Widerstand gegen die Staatsgewalt aufgenommen. Da es in Tschechien kein Vermummungsverbot gibt, können Angreifer nur anhand ihrer Kleidung identifiziert werden. Die zumeist einheitlich schwarz gekleideten Neonazis entgehen somit der Identifizierung.

Bewohner unterstützten die Neonazis

Auch Ond?ej Cakl, Experte für Rechtsextremismus und langjähriger Beobachter von Neonaziaktionen, wurde verletzt. Bei dem Angriff verlor er seine Kamera, seine Schutzweste wurde in Stücke zerrissen. Heute zitiert ihn die Tageszeitung MFDnes mit den Worten: „Mir laufen noch immer kalte Schauer den Rücken runter, wenn ich daran denke, in welchem Umfang umherstehende Bürger die Neonazis unterstützten, die Polizisten als Rassisten beschimpften und sie aufforderten, lieber gegen die Roma vorzugehen.“

Die Tageszeitung Lidové Noviny spricht am Folgetag im Hinblick auf die aktive Unterstützung der Gewalttäter seitens der Stadtbevölkerung von einem „Einsatz in Feindesland“. Der Bürgerrechtler Cakl prophezeit angesichts der Lage eine Zunahme der rechtsextremen Gewalt und ihrer Unterstützung durch breite Massen der Bevölkerung.

Der Parteivorsitzender der „Arbeiterpartei“ Vandas, der auch im September beim ultranationalistischen „Fest der Völker“ im thüringischen Altenburg gesprochen hatte, bezeichnete die Veranstaltung seiner Partei noch am Abend als „erfolgreich“ und wirft der Polizei „Versagen“ vor. Die Roma, die einmal mehr von den anwohnenden Tschechen in ihrem Widerstand nicht unterstützt wurden, schlossen ihre Protestkundgebung dagegen mit einem Applaus für die Polizeibeamten ab und skandierten: „Jungs, wir danken euch“.

Bisher hat keine der tschechischen Parlamentsparteien noch die Regierung die Gewalt der Neonazis offiziell verurteilt. Ji?í ?unek, Vizepremier und Vorsitzender der Christdemokratischen Partei KDU-?SL, erklärte zwei Tage nach den Unruhen: „Die Rechtsextremisten reagieren auf tatsächliche Probleme, doch in einer völlig falschen Art und Weise.“ Am selben Tag nahm auch der tschechische Premier Mirek Topolánek Stellung: „Solche Exzesse, zu denen es in Litvínov? gekommen ist, müssen kompromisslos geahndet werden.“ Er kündigte an, im Kabinett für das vom Innenminister vorgeschlagene Verbot der Arbeiterpartei zu stimmen.

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