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Prävention Wie Rassismus und Salafismus sich beeinflussen

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Präventions-Workshop der "Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus": Reden über und mit Medien bei der Medien-Tour zu „Islamismus-Prävention und Deradikalisierung“ des Mediendienstes Integration. (Quelle: ngn / sr)

Die meisten Menschen in Deutschland haben – zum Glück – nichts direkt zu tun mit Salafismus, ähnlich wie mit Rechtsextremismus. Sie betrachten die Phänomene mit vielen Fragen, von denen mindestens eine mit „Warum?“ anfängt. Und sie ahnen dabei, dass etwa Jugendliche sehr viel mehr mit solchen antidemokratischen Strömungen in Kontakt kommen, als sie offen erzählen würden.

„Salafismus ist in Deutschland tatsächlich erst seit 2005 sichtbar geworden, mit Pierre Vogel als zentraler Figur. Und es ist ein Internetphänomen“, sagt Götz Nordbruch vom Projekt ufuq. Ähnlich wie Neonazis haben die deutschen Salafist_innen begriffen, dass Informationen im Internet optimal geeignet sind, um Jugendliche zu erreichen, die Fragen haben. Anders als beim Rechtsextremismus, zu dem es im Internet immer auch Gegenstimmen gab, haben es die Salafisten allerdings geschafft, „Deutungsmacht über innermuslimische Diskurse“ zu gewinnen, so Nordbruch: „Ihre Informationen sind aktuell, deutschsprachig und popkulturell-modern aufbereitet. So prägen sie gerade bei Jugendlichen die Vorstellung über DEN Islam.“ Auch wenn sich der Salafismus auf einen Islam bezieht, wie er angeblich vor 14 Jahrhunderten, in der Frühzeit des Islam im 7. Jahrhundert,  gelebt wurde, gibt er Antworten auf Fragen, ob es halal oder haram, gut oder böse, ist, wenn Videos mit Musik hinterlegt werden oder ob man als Muslim „Whats App“ nutzen darf. Verfasst sind die Regeln auf Deutsch – der Sprache, die alle Muslime in Deutschland eint, unabhängig vom Herkunftsland.

Was ist am Salafismus für Jugendliche reizvoll?

Allerdings sind die vermittelten Inhalte demokratiefeindlich, rigide und patriarchal. Warum ist das für Jugendliche reizvoll? „Manche Jugendliche können mit der Vielfalt der möglichen Lebensentwürfe nicht umgehen. Sie suchen eindeutige Antworten, der Salafismus bietet sie. Und verspricht: Folgst Du unseren Regeln, kannst Du nichts mehr falsch machen. Die „Anderen“, ein wichtiger Topos, machen dagegen ALLES falsch – da hat man ein Feindbild und kann man sich auch noch erhaben fühlen“, sagt Mirko Niehoff von der „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“ (KIgA). Jugendliche suchen bei den Salafisten Identität, Zugehörigkeit, Gemeinschaft und Orientierung in einer komplexen Welt – auch dies eine Parallele zum Rechtsextremismus. Vielen Jungen gefällt das Bild, ein rebellischer Kämpfer für den „wahren“ Islam zu sein. Viele Mädchen erleben einen Prediger wie Pierre Vogel als Gegenbild zu den Jungen, die sie kennen und als unzuverlässig, unhöflich und restriktiv erleben.

Ein wesentlicher Faktor für das Wachsen des Salafismus in Deutschland ist aber auch der antimuslimische Rassismus in der Gesellschaft. „Jugendliche fühlen sich als Muslime permanent in einer Verteidigungssituation, erleben in Presseberichterstattung und Alltag antimuslimischen Rassismus – und die Antworten der anderen Islam-Auslegungen als schwach“, sagt Niehoff. Der Salafismus dagegen verspricht den Jugendlichen, Teil einer historischen Bewegung für die Verbreitung des Islam zu werden – und bietet auch Legitimationen, dafür Gewalt anzuwenden.

Prävention: Zum eigenen Denken ermutigen

Wie kann eine Antwort auf diese Entwicklung aussehen? Die Islamismus-Prävention in Deutschland steckt noch in den Kinderschuhen. Die „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“ setzt auf Präventionsarbeit in Schulen. Ihr Konzept klingt so einfach wie überzeugend: „Wir zeigen den Jugendlichen, wie vielfältig man muslimisch sein kann in einer vielfältigen Gesellschaft“, sagt Aycan Demirel. In der pädagogischen Arbeit – die zum Teil in Projektworkshops, aber auch in Projektwochen oder gar als jahrlanges Projekt konzipiert ist – sollen die Jugendlichen dazu gebracht werden, eigene Urteile zu fällen, zum eigenen Denken ermutigt werden, das Aushalten von Differenzen und Widersprüchen lernen in einem multiweltanschaulichem Umfeld. „Sie lernen auch Vielfalt im Islam kennen und können dann besser einordnen: Was ist Muslimischsein eigentlich?“

Wie das praktisch aussehen kann, zeigt ein Workshopbesuch in der Carl von Ossietzky-Schule in Berlin. Mit den Jugendlichen der 11. und 12. Klassen diskutieren „Peer Educator“ der KiGA, also junge Erwachsene, die auch einmal Teilnehmer_innen waren, über Medienberichterstattung über Muslime. Ein Beispiel, das vielen der Jugendlichen auf den ersten Blick wie ein muslimfeindlicher Fernsehbeitrag erscheint, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als Ironie. Auch die Rolle von Quellen wird diskutiert: Wer sendet, und mit welcher Idee?

Über Facebook „näher dran“

Im Gespräch mit Schüler_innen erscheint dies auch besonders wichtig. „Ich lese keine Zeitungen. Ich bekomme meine Nachrichten über Facebook“, sagt Sercan über seine Mediennutzung, Mitschülerin Deniz ergänzt: „Gerade wenn es um das Geschehen etwa in Syrien geht, bekommt man bei Facebook auch einen neutraleren Blick, weil es mehrere Perspektiven gibt.“ Beide sagen, sie kennen niemand, der jemals von Salafisten angesprochen wurde, aber sie berichten auch, dass alle Schüler_innen die Enthauptungs- und Kriegsvideos des IS im Internet gucken. Warum? „Neugier. Wissen wollen: Ist das wirklich so krass?“ An der Carl von Ossietzky-Schule gibt es sehr engagierte Lehrer_innen, die ihren Schüler_innen im Geschichts-, „Politische Weltkunde“- und Ethik-Unterricht viel Platz geben, über tagesaktuelle politische Entwicklungen zu reden. „Viele unserer Schüler haben familiäre Verbindungen etwa nach Syrien oder Palästina, da ist der Gesprächsbedarf groß“, sagt Lehrerin Nalan Kilic. Wenn die Lehrer_innen das Gefühl haben, Unterstützung zu brauchen, holen sie sich Expert_innen wie die KIgA ins Haus. Die Schule arbeitet stark mit Anerkennung und Mitbestimmung, Respekt und Wahrnehmung jedes Einzelnen. Brauchen muslimische Schüler_innen auch muslimische Lehrer_innen als Ansprechpersonen, will eine Journalistin wissen. Schulleiterin Anett Burow sagt: „Sie wollen nicht als Muslime wahrgenommen werden. Sie wollen als Berliner Schüler wahrgenommen werden, was sie ja auch sind.“

Pinar und Ender Cetin in der ?ehitlik Moschee im Gespräch mit Journalist_innen.

Was können Moscheegemeinden tun?

Die ?ehitlik Moschee am Columbiadamm ist berlinweit bekannt, weil sie ein besonders schmuckes Gebäude hat. Sie wird von der Türkisch-Islamischen Gemeinde DITIB betrieben, Ender Cetin ist hier Gemeindevorsitzender, seine Frau Pinar kümmert sich um die Jugendarbeit in der Moschee. „Es ist für uns sehr schwierig, wenn die Gesellschaft ständig fordert, die Moscheen müssen etwas tun gegen Islamismus und Salafismus“, sagt Pinar Cetin. Sie meint das nicht inhaltlich, sondern rein praktisch. „Die Jugendlichen, die sich radikalisieren, kommen natürlich nicht in unsere Moschee, die ja als gemäßigt bekannt ist.“ So geschieht ein Kontakt zu gefährdeten Jugendlichen vor allem über bisher seltene Schulprojekte. Außerdem geschieht sämtliche Arbeit in der Moschee ehrenamtlich: „Wir versuchen stets, die Moschee für Jugendliche zu öffnen und ihnen attraktive Angebote  zu machen. Wir wollen ihnen ja eine religiöse Alternative bieten.“ Ender Cetin ergänzt: „Wir sind hier aber eben nicht so Pop und Internet.“ Aber Fotografie-Projekte, Video-Workshops oder Gruppenreisen für islamische Jugendliche, die ein Anlass sein können, in Ruhe darüber sprechen kann, wie sich Islam in Deutschland im Einklang mit Demokratie und vielfältiger Gesellschaft leben lässt, das hat die Gemeinde schon realisiert. Für Angehörige gefährdeter Jugendlicher gibt es auch Informationsveranstaltungen in der Moschee, gefördert durch den Lokalen Aktionsplan von Berlin-Neukölln.  „Es ist uns sehr wichtig, möglichst viele Menschen über die Gefahren der Salafisten und des IS aufzuklären“, sagt Pinar Cetin. Ihr Mann ergänzt: „Und wir brauchen die Solidarität der demokratischen Gesellschaft dabei! Diese Strömungen sind nicht DIE Muslime – vielmehr schaden sie denen Muslimen. Praktisch sogar doppelt: Indem sie gemäßigte Muslime im Irak und in Syrien angreifen – und weltweit die Vorurteile gegenüber Muslimen in die Höhe schnellen lassen.“

Mehr im Internet:

| Wie beugt man militantem Islamismus vor? (Mediendienst Integration)

| Islam und Islamismus in der Schule (Mediendienst Integration)

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