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NPD-Kandidaten in Sachsen-Anhalt 2011 Parteifunktionäre, Dauerstudenten, Polit-Abenteurer und Vorbestrafte

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Bei der Landtagswahl am 20. März könnte die National-Demokratische Partei (NPD) erstmals in Sachsen-Anhalts Landtag einziehen. Doch was hätten die Bürger davon zu erwarten, wer sind die Kandidaten der rechtsextremen Partei?

Es ist ein merkwürdiger Trupp, der da im August 2010 vor der CDU-Parteizentrale am Magdeburger Schleinufer in Stellung gegangen ist. Sachsen-Anhalts NPD will eine „Großdemonstration“ gegen die CDU zelebrieren. Doch erschienen ist nur ein Häuflein rechtsextremer Funktionäre samt Gefolge.

Einige der Leute wirken, als seien sie einem Satire-Film entsprungen: Ein Mann in schwarzem Hemd und einer Frisur aus den 1930er Jahren blickt martialisch um sich. Ein anderer, Haarschnitt vorn kurz, hinten lang („Vokuhila“) und mit Hitler-Bärtchen, hält ein Schild mit der Aufschrift „Unser Trainer heißt Battke“ in die Höhe. Und eine Gestalt in Schwarz, 1,80 Meter groß und fast ebenso breit, versucht, Flugblätter an Passanten zu verteilen.

Aufs Äußere bedacht

Mitten in diesem Panoptikum ein kleiner Mann mit randloser Brille. Matthias Heyder, Landeschef und Spitzenkandidat, trägt Hemd und Pullover, darüber eine rote Windjacke. Der Haarkranz ist rasiert, nur die große Narbe im Gesicht wirkt furchteinflößend. Auf den NPD-Wahlplakaten ist sie retuschiert worden.

Auch sonst achtet Matthias Heyder auf sein Äußeres. Krawatte und Anzug sollen ihn für den Durchschnittsbürger wählbar machen. Nur: Wer ist dieser Heyder wirklich? In seinem Wohnort Elbingerode im Harz, wo die Eltern einen Kiosk betreiben, bleibt er auffällig unauffällig, ist weder im Stadtrat noch in Vereinen aktiv, soll sich allerdings früher einmal in der Mitteldeutschen Partei versucht haben. „Der praktiziert das Marder-Prinzip“, heißt es im Elbingeröder Rathaus. Ein Marder jage nicht vor seinem Bau, sondern weit entfernt, um unentdeckt zu bleiben.

Heyder gibt auf Nachfragen als Beruf „Bankkaufmann“ an. Die NPD propagiert häufig Ehrlichkeit und Offenheit. Doch wo ihr Spitzenkandidat arbeitet und womit er sein Geld verdient, verbirgt man sorgsam. „Wir geben der Presse darüber keine Auskünfte. Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt NPD-Sprecher Michael Grunzel.

Was für Erfahrungen?

Grunzel: „Darüber sind wir keine Rechenschaft schuldig.“

Über eine medial ausschlachtbare Karriere verfügt der Spitzenkandidat offenbar nicht. Vor einigen Jahren war Heyder als Betreiber einer Zeitarbeitsfirma tätig. Dann wieder als Immobilienmakler; und als solcher für einen internationalen Inkassodienst. Dessen Hauptgeschäftszweck: Die „Betreuung und Verwertung“ notleidender Kredite eines US-Investment-Fonds. Die Firma erklärte auf Nachfrage, man habe sich nach sieben Monaten von dem freien Mitarbeiter Heyder getrennt. Gründe werden nicht genannt.

Tätigkeiten, die so gar nicht zur NPD-Propaganda und zu Heyders Parolen passen wollen. Im Internet wetterte der Bankkaufmann: „Das System muss weg. Die Parteien haben (?) ein unsägliches, ausschließlich materiell orientiertes, volksfeindliches System eingeführt (?), das restlos abgeschafft gehört.“ Zugleich lehnt die NPD laut Parteiprogramm Zeitarbeit ab.

Ein Landtagsmandat würde Heyder für die nächsten fünf Jahre erst mal ein festes Einkommen sichern.

Matthias Gärtner (27), NPD-Listenkandidat Nummer zwei, ist ohne nennenswerte Berufserfahrung. Er studiert seit Jahren Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie in Magdeburg und gehört seit 2007 dem Magdeburger Stadtrat an. Dort ist er zwar meist anwesend, doch Anträge von ihm sind Mangelware. Anders Kandidat Nummer drei: Michael Schäfer (28) aus Wernigerode, ein weiches Jungengesicht mit Kurzhaarschnitt, kleinen Augen und schmalem Mund. Schäfer war einst Führungsmitglied der „Wernigeröder Aktionsfront“ (WAF). Laut Studie „Verfassungsfeind NPD“, herausgegeben von den SPD-Länder-Innenministern, war die WAF „ein als bandenartig zu charakterisierender Personenzusammenschluss“ von 20 bis 30 Leuten.

Schäfer ist Bundeschef der NPD-Nachwuchsorganisation JN, die als Bindeglied zwischen der NPD und gewaltbereiten „Freien Kameradschaften“ der sachsen-anhaltischen Neonazi-Szene gilt. Er sitzt seit drei Jahren im Harzer Kreistag und im Stadtrat von Wernigerode, versucht des Öfteren mit provokativen Anträgen Aufmerksamkeit zu erregen.

Auch für Schäfer, der einst erfolglos in der Jungen Union Fuß zu fassen versuchte, käme der Landtagseinzug einem Lottogewinn gleich. Auch er studierte jahrelang Politikwissenschaften in Halle, bezeichnet sich jetzt als „Jugendreferent“, ist vermutlich NPD-Parteifunktionär.

Schäfer gilt als Mann mit den zwei Gesichtern. Nach außen tritt er gern bürgerlich im dunklen Anzug auf, redet flüssig von „modernen, jungen Politik-Konzepten“ und von „überparteilichem Agieren“.

Schäfers zwei Gesichter

Doch falls ihn die Wahl in den Landtag spülen würde, wäre dort wohl bald auch der andere Michael Schäfer zu besichtigen: der Scharfmacher, der die Fußtruppen der NPD anstachelt. Mit Schirmmütze, Sonnenbrille und Lederhandschuhen brüllte er beispielsweise zum Sachsen-Anhalt-Tag in Osterburg 2007 bei der NPD-Demonstration Sätze wie „Hier ? marschiert ? der nationale Widerstand!“ Beim jüngsten Wahlforum von Volksstimme und MDR im Magdeburger AMO-Kulturhaus versuchten Heyder, Schäfer und weitere zwei Dutzend NPD-ler durch Gegröle zu stören, hatten sich aber offenbar verschätzt. Als die übrigen Leute im Saal lautstark „Nazis raus!“ skandierten, traten Heyder & Co. den Rückzug an.

Von den übrigen 16 NPD-Listenkandidaten haben in der rechtsextremen Szene einige einen Namen. Philipp Valenta (Listenplatz 4) beispielsweise stammt aus Rheinland-Pfalz, wohnt jetzt in Bernburg, ist langjähriger Student und in führenden Funktionen des NPD-Nachwuchses.

SED, REP, jetzt NPD

Heidrun Walde (Platz 5) und vor allem ihr Mann Peter (Platz 12) haben in bewegtes Polit-Leben hinter sich. Peter Walde trat 2006 als REP-Landeschef zur Landtagswahl an. In der DDR studierte er Gesellschaftswissenschaften an einer Gewerkschaftsschule in Güsen, war neun Jahre lang Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei (SED) und leitete bis zur Wende Schulungen für Zivilverteidigung im Konsum-Backwarenkombinat Magdeburg.

2006 beklagte er, seine Republikaner würden oft „mit den wirklich Bösen in einen Topf geworfen“. Und: „Die „wirklich Bösen“ seien die Leute von der DVU und von der NPD. Die DVU werde „aus München ferngesteuert“, und die NPD wolle „den Nationalsozialismus“ in Deutschland errichten. Mit beidem wolle man „nichts zu tun haben“. 2010 haben sich NPD und DVU vereinigt*. Jetzt ist Walde NPD-Mitglied mit Aussicht auf ein Landtagsmandat.

Auf Platz 6 kandidiert der ehemalige NPD-Landeschef Andreas Karl (Jahrgang 1963), gelernter Dachdecker aus dem Burgenland. Paradox: Karl möchte gern in ein Parlament, dessen Staat er nicht anerkennt. Einem Gerichtsvollzieher beschied er einst an der Haustür, für ihn würden die Gesetze der Bundesrepublik nicht gelten, er unterstehe der „Exilregierung des Deutschen Reiches“.

Lutz Battke (Jahrgang 1958, Platz 7), ein Mann mit Vokuhila-Frisur und Hitlerbärtchen, machte als Fußball-Jugendtrainer in Laucha (Burgenland) von sich reden. Lange Zeit unterschätzte der Verein Battkes Wirkung auf die Kinder. Erst lange nachdem einer von Battkes Schützlingen einen jüdischen Jungen verprügelte und rassistisch beschimpfte, setzte der Verein Battke den Stuhl vor die Tür.

Auch Judith Rothe (Platz 8) und ihr Lebensgefährte Enrico Marx sind bundesweit bekannt und laut SPD-Innenministern „wegen Gewaltdelikten vorbestraft“.

Illuster die Vergangenheit von Gustav Haenschke (Listenplatz 16). Er hatte 1990 die SPD in Wellen mitgegründet und lief 2007 zur NPD über. Zur Kommunalwahl ließ er sich im Sonntagsanzug auf seinem Sofa ablichten, kurz darauf zeigte er dem Pressevertreter seine „Parteiecke“ im Schlafzimmer: Mit NPD-Wimpel und einem Bild der Wehrmachtsdivision „Großdeutschland“.

Wie NPD-Mitglieder reden, wenn sie sich unter sich glauben, zeigen rund 60 000 jüngst öffentlich gewordene E-Mails. Da hetzen NPD-Funktionäre über Ausländer und Farbige, die für sie „Bimbos“ seien, die man „nicht fettfüttern“ dürfe. Unterschrieben wird da schon mal wie in finsteren Zeiten „Mit deutschem Gruß“ oder mit der Szene-Formel „88“, was H.H. ? also „Heil Hitler!“ bedeutet.

Wahlkampf auf Pump

Mit einem professionell gemachten Internet-Auftritt versucht die NPD, vor allem junge Wähler zu ködern. Doch die aufgeflogenen E-Mails offenbaren, wie finanzschwach die Partei in Sachsen-Anhalt ist. Seine Plakatschlacht finanziert der hiesige Landesverband auf Pump, musste sich 25 000 Euro von Marianne Pastörs leihen, der Frau des mecklenburgischen NPD-Chefs Udo Pastörs, rückzahlbar nach der gewonnenen Landtagswahl ? mit 3,5 Prozent Zinsen.

Sollte die NPD am 20. März den Landtagseinzug verfehlen, dürfte es damit schwer werden.

Dieser Artikel erschien am 09. März 2011 in der „Volksstimme„. Hier finden Sie auch Fotos der Kandidaten und Kandidatinnen. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion.

* Nach offizieller Darstellung von NPD und DVU ist die Fusion vollzogen. Allerdings laufen diverse Klagen empörter Mitglieder, so dass laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken noch nicht von einer „endgültig rechtswirksamen Fusion von NPD und DVU ausgegangen“ werden kann. So muss etwa geklärt werden, ob DVU-Chef Matthias Faust überhaupt das rechtskräftige Mandat der Parteimitglieder hatte, um den Verschmelzungsvertrag mit der NPD zu unterschreiben.

Mehr im Internet:

| Kein Ort für Neonazis in Sachsen-Anhalt
mut-gegen-rechte-gewalt.de berichtet über Aktionen der Kampagne

Die Kampagne „Kein Ort für Neonazis in Sachsen-Anhalt“ auf Facebook:
| www.facebook.com/keinortfuerneonaz

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