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Mord an Marwa El-Sherbini Wo bleiben Empathie und Sachlichkeit?

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Ist der Mord an Marwa El-Sherbini islamfeindlich?
Wir brauchen an dieser Stelle keine langen Diskussionen, ob Islamfeindlichkeit nur eine Spielart von Rassismus ist oder ein eigenständiges Phänomen. Der Mord ist deutlich islamfeindlich, aufgrund der klaren Äußerungen des Täters. Und es gibt Islamfeindlichkeit in Deutschland. Und diese zu benennen ist wichtig, damit sich die Menschen in Deutschland erst genommen fühlen, die sie zu spüren bekommen.

Der Täter ist nach Deutschland gekommen, nachdem er in Russland wegen ?deutschen Blutes? als Deutscher gegolten hat. Hier angekommen stellt er fest, dass der kulturelle Unterschied aber sehr viel größer ist als die scheinbare ?Verbundenheit? des ?Blutes?. Er ist hier ein Fremder, gilt als Russe, zudem ist er auch noch sozial ganz unten. Was in diesem Fall passiert, ist eine klassische rassistische Hackordnung: Er sucht sich jemand, der scheinbar in der Anerkennung noch unter ihm steht: eine muslimische Frau. Er verfolgt die Debatten in Deutschland, merkt, dass er mit Islamfeindschaft an Meinungen in der Mehrheitsgesellschaft andocken kann. Dann sucht er sich ein Opfer und muss überrascht feststellen: Sie wehrt sich, ist intelligenter, gebildeter und steht sozial höher als er. Daraus entsteht der Hass. Er hat eine Rassismus-Grundierung, aber darauf kommt die explizite Islamfeindschaft, die er auch in der deutschen Gesellschaft als mehrheitsfähig zu erkennen meint.

Ist es wichtig, diese Islamfeindlichkeit auch zu benennen?
Natürlich! Die Ignoranz der ersten Tage war furchtbar. Es wurde in den Medien sachlich berichtet, aber ohne einen Funken Empathie – übrigens mit Ausnahme der Bild-Zeitung, erstaunlicherweise. Die Politik hat geschwiegen und damit total versagt. Dabei war mit dem Fall und der vorangegangenen Verhandlung völlig klar, dass es sich um ein islamfeindliches Motiv handelt.

Warum tut sich die deutsche Gesellschaft und Politik so schwer mit einer Reaktion auf den Mord an Marwa El-Sherbini?
Viele haben das Thema unter ?Streit unter Migranten? abgetan. Die Berichterstattung zum Thema war ja sachlich richtig, aber formalistisch und ohne jede Anteilnahme. Sie vermittelte die Botschaft, die Tat habe mit ?uns? nichts zu tun. Zum großen Thema wurde der Mord erst, als in Ägypten deswegen protestiert wurde. Und auch jetzt geht der Blick der Berichterstattung nach außen. Auch die Politik hat erst reagiert, als sie außenpolitische Komplikationen oder gar Terrorgefahr befürchtete. Und dann spricht Angela Merkel zum ägyptischen Präsidenten ? nicht etwa zu den Muslimen in ihrem Land! Aber auch von den Medien werden die Muslimen in Deutschland zu wenig in den Blick genommen, ihre Gefühle, Ängste, ihre Trauer. Wenn doch einmal nach Problemen gefragt wird, kommen oft immer die gleichen islamistischen Protagonisten zu Wort.

Welche Folgen hat das?
Es ist fatal. Gerade bei muslimischen Bildungsaufsteigern, die Deutschland als ihre Heimat empfinden, wächst aufgrund solch fehlender Reaktionen das Gefühl, dass sie eben nicht dazu gehören. Auch Diskurse wie die Kopftuchdebatte bestätigen sie darin. Die Ängste mögen zum Teil irrational sein oder auf falschen Fakten basieren, aber die Gefühle sind real, auf die müssen die Gesellschaft und die Politik reagieren. Sonst überlässt man das Feld den radikalen Islamisten, die sofort begonnen haben, den Mordfall Marwa El-Sherbini für ihre Propaganda-Zwecke zu nutzen. Wenn die dann als erste eine Demonstration organisieren, wie am 5. Juli in Berlin-Neukölln, erzeugen sie natürlich ein ?Wir-Gefühl?, dass abgrenzend ist und Feindbilder zu bestätigen scheint. Hören Sie einmal den Song ?18 Stiche ? Tod im Gericht?, der aktuell im Internet kursiert. Er drückt eine Stimmung aus, die wohl nicht wenige Muslime empfinden. Damit muss sich die Gesellschaft in Deutschland auseinandersetzen. Ich sehe aber die Gefahr, dass diese Empfindungen nicht ernst genommen und verhandelt werden, sondern schlicht negiert und weggeschoben werden, à la ?Tja, in Deutschland gibt es leider Rassismus.?

Wie kann es weiter gehen?
Wir brauchen eine sachliche Debatte zum Thema Islamfeindlichkeit ? und zwar ohne ständige Vergleiche zum Antisemitismus, sondern problemkonzentriert. Und wir brauchen eine Auseinandersetzung auf der kommunalen Ebene, um Ängste und Unsicherheiten aller Seiten aufzugreifen und einen Dialog möglich zu machen. Auf keinen Fall dürfen die Demokraten das Thema den radikalen Kräften überlassen, die Verschwörungstheorien entwickeln und Ressentiments schüren.

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