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Monatsüberblick September 2016 Islamfeindlichkeit

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Frauen stehen am 27.09.2016 während einer Mahnwache vor der Fatih Camii Moschee in Dresden (Sachsen). Vor der Moschee und einem internationalen Kongressgebäude in Dresden sind zwei Sprengstoffanschläge verübt worden. (Quelle: dpa)

 

Zusammengestellt von Carina Schulz

 

Anschlagsserie: vier Übergriffe auf muslimische Gebetshäuser in zwei Wochen

Innerhalb von zwei Wochen gab es vier Übergriffe auf muslimische Gebetshäuser: einen Schweinekopf an einer Moscheebaustelle in Essen, Schmierereien im baden-württembergischen Schwäbisch Gmünd, einen Brandanschlag im hessischen Bebra und einen Sprengstoffanschlag in Dresden.

„Festzuhalten gilt, dass sich antimuslimische Ressentiments wieder zunehmend in Gewalttaten umschlagen“, schreibt Islamiq-Autor Taner Aksoy über die Angriffe. „Ist es purer Zufall, dass sich Anschläge auf muslimische Gebetshäuser im Zuge der Debatten um Burka, Burkini, Kopftuch und Beobachtung von Moscheen wieder häufen?“

Jurist Burak Alta? erklärt, welche Symbolik Moscheeanschläge haben: „Der Angriff auf eine Moschee ist das anschaulichste Beispiel für Islamfeindlichkeit.“ Er findet, dass es in Deutschland in Bezug auf Moscheeangriffe ein ernsthaftes Bewusstseinsproblem gebe: „Einige lückenhaft geführte Statistiken sind weit davon entfernt, auch nur den sichtbaren Teil des Eisbergs darzustellen, da islamfeindliche Straftaten in den Polizeistatistiken nicht in einer eigens geschaffenen Kategorie erfasst werden.“

Essen: Unbekannte haben einen gespaltenen Schweinekopf an einem Zaun der Moschee-Baustelle im Stadtteil Altendorf befestigt. An der Baustelle sollen Aufkleber der neu-rechten „Identitären Bewegung“ gefunden worden seien – mit der Aufschrift „Genug jetzt – Re-Migration statt Asylwahn“. Der Staatsschutz ermittelt. Noch für den gleichen Abend rief das Bündnis „Essen stellt sich quer“ spontan zu einer zweistündigen Mahnwache vor Ort auf, zu der etwa 50 Teilnehmer_innen kamen (WAZ). Schwäbisch Gmünd, Baden-Württemberg: Eine Moschee wurde von Unbekannten mit beleidigenden Schriftzügen und Hakenkreuzen beschmiert. Ähnliche Schmierereien gab es außerdem an einem in der Nähe geparkten LKW, auf der Fahrbahn einer nahegelegenen Straße und an einer Aussichtsplattform (Islamiq). Die Polizei ermittelt und wertet derzeit Videomaterial mehrerer Überwachungskameras aus. Tatverdächtige gibt es aber noch nicht (SWR). Bebra, Hessen: Eine Flasche mit einer unbekannten brennbaren Flüssigkeit wurde gegen die Außenfassade des türkisch-islamischen Kulturzentrums geworfen, in dem sich auch eine Moschee befindet. Verletzt wurde niemand, es entstand aber ein Sachschaden in Höhe von rund 10 000 Euro. Die Polizei ermittelt wegen versuchter schwerer Brandstiftung, der Staatsschutz wurde eingeschaltet (Frankfurter Rundschau). Dresden: In der Woche vor den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit kam es an der Moschee unweit des Bahnhofs Friedrichstadt zu einer Explosion. Bei den Ermittlungen wurden die Reste eines selbstgebauten Sprengsatzes gefunden. Der Imam befand sich zum Zeitpunkt der Detonation mit seiner Frau und seinen Söhnen im Gebäude, verletzt wurde aber niemand.Etwa eine halbe Stunde später gab es eine weitere Explosion vor dem Internationalen Congress Center, in dem am 3. Oktober der Empfang des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit stattfand. Auch dort wurden Reste eines selbstgebauten Sprengsatzes gefunden. Die Hitze der Explosion zerstörte sie Seite eines Glasquaders auf einer der Freiflächen des Gebäudes.Die Polizei vermutet einen Zusammenhang zwischen den beiden Explosionen. Außerdem sehe sie eine Verbindung zu den Feierlichkeiten anlässlich des Tages der deutschen Einheit am darauffolgenden Wochenende. Die Polizei setzte darum die Sicherheitsmaßnahmen für die Feierlichkeiten vorzeitig in Kraft, die islamischen Einrichtungen wurden unter Polizeischutz gestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ermittelt zu den Sprengstoffanschlägen. Es wurde ein Verfahren gegen Unbekannt „wegen des Verdachts des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion“ eingeleitet, wie die Behörde mitteilte. Das Sonderdezernat für politisch motivierte Kriminalität untersucht beide Fälle (Zeit).

 

UN-Menschenrechtskommissar warnt vor Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus

Said Raad al-Hussein, der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen, hat Bürger_innen weltweit dazu aufgefordert, sich gegen Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus zu stellen.  In einer Rede bei einer Sicherheitskonferenz in Den Haag kritisierte er neben dem niederländischen Politiker Geert Wilders auch US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump, Ungarns Regierungschef Viktor Orban und die Chefin des französischen Front National, Marine Le Pen. Sie alle würden „mit Halbwahrheiten und Vereinfachungen“ um die Stimmen verunsicherter Wähler_innen werben (Süddeutsche Zeitung).

 

Zentralrat der Muslime beklagt zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland

Aiman Mazyek, Chef des Zentralrats der Muslime, beklagt im Interview mit der Welt einen Anstieg der Islamfeindlichkeit in Deutschland. Die „körperlichen und verbalen Angriffe“ gegen Muslim_innen auf der Straße nähmen im „nie gekannten Maße zu“, sagte er. Von Hass werde man „geradezu erschlagen“. Die Angriffe auf Moschee-Gemeinden hätten sich von 2014 bis 2015 vervielfacht, das gelte ebenfalls für Hassdelikte im Internet. Zur AfD sagt Mazyek im Interview, dass ihr eine „tiefe Verankerung von rassistischen Ressentiments in unserer Gesellschaft“ nützen würde.

 

Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor lässt sich nach Morddrohungen beurlauben

Die Islamwissenschaftlerin, Autorin und Religionspädagogin Lamya Kaddor hat sich nach eigenen Angaben aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlauben lassen. Seit dem Erscheinen ihres Buches über die Integration von Flüchtlingen vor zwei Wochen habe sie Morddrohungen erhalten und so viele Hassbriefe wie noch nie, sagte sie im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Kaddor sieht sich und andere durch regelrechte Feldzüge von Rassist_innen attackiert. „Das sind ja nicht nur Einzelpersonen“, sagt sie. In ihrem neuen Buch nenne sie dies „organisierten Hass“. Ursache für die aktuelle Hasswelle gegen sie seien auch „verkürzte Vorabdrucke“ ihres neuen Buchs sowie Journalist_innen und Intellektuelle, die sehr massiv gegen sie Stimmung machten (Neues Deutschland). Aus Diskussion zurückziehen möchte sie sich aber nicht, sie wolle „auch nicht die Klappe halten“, betonte Kaddor bei Facebook. Es sei „an der Zeit, gegen diese Stimmung im Land den Mund aufzumachen!“

 

Wahlen I: Berliner Imam will Muslim_innen zum Wählen bewegen

Imam Mohamed Tahi Sabri beklagt eine zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland. Er habe einen beunruhigenden Wandel der allgemeinen Haltung gegenüber Muslim_innen beobachtet: „Es gibt diese Bewegungen wie Pegida und die AfD, eine Partei, die in ihrem Parteiprogramm Muslime verunglimpft“, sagte Sabri. „Wenn sie an die Macht kämen, dann würden sie Gesetze verabschieden, um Muslime auszugrenzen. Deshalb hatten wir die Idee, dass wir als Muslime etwas tun müssen, um das zu verhindern.“ Vor den Senatswahlen in Berlin versuchte er, muslimische Wähler_innen zu mobilisieren, um einen Erfolg der AfD zu verhindern. Mit seinem Team brachte er in Stadtteilen mit hohem Anteil von muslimischen Einwohner_innen Plakate an, die auf Deutsch und Arabisch daran erinnern, bei der Senatswahl am 18. September wählen zu gehen. Sabri hielt in Neukölln außerdem eine Predigt zu diesem Thema und lud zu zwei Veranstaltungen in seine Moschee ein (Deutsche Welle).

Trotz des Engagements von Sabri und vielen anderen, erhielt die AfD bei den Berliner Senatswahlen 14,2 % der Stimmen (NgN berichtete).

 

Wahlen II: Umstrittener AfD-Kandidat Kay Nerstheimer tritt nicht Berliner Fraktion bei

Der wegen menschenverachtender Äußerungen in der Kritik stehende AfD-Kandidat, Kay Nerstheimer, erhielt bei den Berliner Senatswahlen ein Direktmandat (NgN berichtete). Trotzdem wird er nicht Mitglied der neu gegründeten AfD-Fraktion. Er erklärte nach einem Gespräch mit Landesparteisprecher Ronald Gläser schriftlich seinen Verzicht auf eine Fraktionszugehörigkeit.

Nerstheimer hatte sich in der Vergangenheit Medienberichten zufolge in rechtsextremen Gruppen und Internetforen engagiert. Aufgefallen war er besonders durch seine extrem islamfeindlichen Positionen. 2012 bezeichnet er sich in Online-Kommentaren als Leader der Berlin Division der „German Defence League“, die die „christliche Tradition vor dem Islam schützen“ will. „Die GDL wird als Miliz aufgebaut und trainiert“, schrieb Nerstheimer (Neues Deutschland).

 

München: Mann attackiert muslimische Frauen in U-Bahn

Ein 38-jähirger Mann hat in der Münchner U-Bahn eine 46-jährige Frau und ihre 17-jährige Tochter angegriffen, weil die beiden Kopftücher trugen. Er sei Christ und Deutscher und hasse Muslime und Kopftücher, schrie er. Die beiden sollten aus Deutschland verschwinden. Dann ging er auf die 17-jährige Frau los und schlug ihr zweimal ins Gesicht. Anschließend wollte er auch die Mutter schlagen, verfehlte sie aber. Ein unbekannter Fahrgast ging dazwischen und stoppte den islamfeindlichen Angriff. Der Staatsschutz der Münchner Kriminalpolizei ermittelt wegen eines politische motivierten Delikts (Süddeutsche Zeitung).

 

Delmenhorst: Workshop gegen Islamfeindlichkeit an Berufsbildenden Schulen

Die Koordinierungsstelle Migration und Teilhabe der Stadt Delmenhorst hat einen Workshop initiiert, an dem Schüler_innen aus zwölf Klassen der Berufsbildenden Schulen II teilnehmen. Das Ziel der Unterrichtseinheiten: über den Islam informieren und so Vorurteilen und Islamfeindlichkeit etwas entgegenstellen. Schulleiter Ulrich Droste erklärt: „Mit dem Projekt möchten wir Verständnis der Schüler füreinander fördern. Wir dürfen den Stammtischen nicht das Feld überlassen.“ Das Projekt wird mit 8000 Euro über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ finanziert. Die Student_innen, die die Kurse leiten, wurden vorab von dem Verein für politische Bildung „UFUQ“ geschult. Insgesamt 500 Schüler_innen werden an den Kursen in Delmenhorst teilnehmen (Osnabrücker Zeitung).

 

 

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