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„Lies bloß nicht die Kommentare!“

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Hass als Hintergrundrauschen: Doch die verbale Hemmunglosigkeit im Internet führt zur realer Gewalt. (Quelle: AAS)

»Lies bloß nicht die Kommentare!« hat sich in den letzten Jahren zu einer universalen Weisheit entwickelt. In den Kommentarspalten und Sozialen Netzwerken herrscht ein rauer Ton. Beleidigungen sind schneller getippt als gesprochen. Die Debattenkultur im Internet ist aggressiv, verletzend und nicht selten hasserfüllt und bedrohlich. Die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, die einmal als Chance für die Gesellschaft begannen, eskalieren seit einigen Jahren zunehmend in einem verbalen Kulturkampf. Die Sprache radikalisiert sich mehr und mehr und die Gräben werden tiefer. Die Feindbilder sind altbekannt: Juden, Linke, (Queer-)Feministinnen, Schwarze, Muslime, Homosexuelle und Flüchtlinge. Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung zeigen sich im Netz auf unterschiedlichste Arten, sei es mit offenkundig menschenverachtenden Parolen oder als Satire verpackt. So genannte Hassrede wird in der Debattenkultur des Netzes sichtbar und bricht über diejenigen ein, die täglich mit der Moderation und Betreuung von Diskussionsplattformen beschäftigt sind. Hate Speech ist in der Debattenkultur ein Problem, dem begegnet werden muss. 

Hate Speech ist ein Problem.

Dabei stehen die Zuständigen vor einem doppelten Problem: Sie werden nicht nur von der schieren Zahl problematischer Beiträge überfordert, welche das Diskussionsklima nachhaltig schädigen, sondern müssen Hate Speech in ihren Facetten und Dimensionen überhaupt erst mal erkennen. Die Frage, was Hate Speech eigentlich ist, bleibt umstritten. Eine feste Definition oder gar ein Katalog an Wörtern kann es nicht geben, da Hate Speech nicht aus dem jeweiligen Kontext gelöst werden kann. Dieser Kontext ist meist von der nationalstaatlichen Ordnung geprägt: Hate Speech in Deutschland unterliegt anderen kulturellen Eckpunkten als etwa im Iran oder Guatemala. Diese Zusammenhänge verblassen allerdings mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung der Welt. In dieser Entwicklung entstehen neue Kontexte, während gleichzeitig alte reproduziert und erweitert werden. Die nationalen Grenzen der Debatten verwischen und somit auch die Herausforderungen im Umgang mit Hate Speech. Dabei steht die Sprache am Anfang: Hate Speech ist das motivierende Hintergrundrauschen zum gelebten Gewaltexzess. Die Aussage »Es sind doch nur Worte!« verharmlost so die Funktion von Hate Speech und leugnet die Verbindung zu Pogromen, Übergriffen und Ermordungen an Menschen auf Grund ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihres Genders oder ihrer Sexualität. Dem Genozid in Ruanda ging eine hasserfüllte Radiokampagne voraus. Der Blick in die Geschichte des Antisemitismus zeigt, wie antisemitische Hate Speech immer auch die Grundlage für die angestrebte Zerstörung der Juden bildete. Sprache knüpft an Gegebenheiten an, verarbeitet und deutet sie. Sprache bereitet Handeln vor, gibt die narrativen Leitplanken. Deswegen ist Sprache auch selbst Handeln. In Zeiten von Sozialen Medien und einer ausgeprägten Forenkultur dient das Netz nicht nur als Ort des Austausches, sondern auch für Verabredung und Planung konkreter Aktionen und rechtsextremer Überfälle. Neonazis haben das Netz schon früh als ideales Werkzeug für Vernetzung, Propaganda und Rekrutierung entdeckt. Hate Speech ist ein Mittel organisierter Rechter, um die ideologische Deutungshoheit für sich zu gewinnen und Solidarisierungseffekte zu provozieren, die nicht originär rechte Bürger_innen einfangen sollen. Besonders beliebt sind in dem Zusammenhang Themen wie die Flüchtlingsdebatte, Gleichstellungsfragen oder der Nahost-Konflikt – immer wieder versuchen extreme Rechte, entsprechende Netzdebatten zu beeinflussen und zu radikalisieren. 

Eine gute Debattenkultur muss aktiv geschaffen werden 

Plattformen, die digitale Diskussionen ermöglichen, stehen somit vor dem Problem die Debattenkultur regulieren zu wollen oder gar zu müssen. Gerade etablierte Zeitungen und Zeitschriften, die immer auch mit einer besonderen Autorität Teil des gesellschaftlichen Diskurses sind, müssen sich mit dem Problem Hate Speech auseinandersetzen und sich mit der gezielten Agitation menschenfeindlicher Kräfte beschäftigen. Dies gilt umso mehr, als es keine klare rechtliche Handhabe gibt: So gibt es zwar den Volksverhetzungsparagraphen (§ 130 StGB) und allgemeine Gesetze, die vor Beleidigungen schützen. Hate Speech zeigt sich allerdings nicht selten in vermeintlich rationalen Aussagen, die ganz klar außerhalb des justiziablen Bereichs liegen und dennoch problematisch sind, weil sie etwa mit falschen Fakten rechter Propaganda in die Hände spielen. Der Umgang mit dieser Problematik lässt viele ratlos werden. Gleichzeitig stellt sich die Frage, inwiefern diejenigen Debattenteilnehmer_innen unterstützt werden können, die sich gegen menschenfeindliche Aussagen stellen und dafür oft selbst zum Ziel hasserfüllter Kommentare werden. Generell ist die Herausforderung, eine konstruktivere Diskussionskultur zu etablieren. Eine Kapitulation vor Hate Speech und unsäglichen Debatten ist keine Option. Nicht zuletzt gilt es, einen Blick auf die Betroffenen von Hate Speech zu werfen und gemeinsam mit ihnen individuelle Abgrenzungsmechanismen zu entwickeln. 

 

Wie umgehen mit dem Hass im Netz? 

Dieser Frage widmen wir uns im Schwerpunkt April 2015 auf netz-gegen-nazis.de. Der Schwerpunkt April 2015 zu „Hate Speech“ basiert auf der Broschüre „Geh sterben!“ – Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet, die gerade in unserem Partner-Projekt no-nazi.net der Amadeu Antonio Stiftung entstanden ist.

 

| Mehr zur Broschüre hier| Download (pdf)

 

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| Brandstiftung beginnt im Netz – Neue Handreichung zu Hate Speech im Netz

| „Ich weiß nicht, was Nazis sein sollen, getroffen habe ich noch keinen“- Rechtsextreme Argumentationsmuster im Internet

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