Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Legida in Leipzig In den Straßen hallt der Hass

Von|
Leichter Herrenüberschuss, Deutschlandlampions, Hass im Kopf: "Legida" am 12.01.2015 (Quelle: ngn / sr)

Es ist nicht leicht, in Leipzig zur „Legida“-Demonstration zu kommen, dem lokalen Ableger der „Patriotischen Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“. Und das liegt an den vielen Gegendemonstrant_innen, die schon frühzeitig die Straßen säumen, sich in möglichst großer Nähe der geplanten – und verkürzten – Pegida-Strecke sammeln und klar machen: Diese Stadt will keine „Legida“, keine Islamfeindlichkeit, keinen Rassismus, keine Nazis. Nur der Polizist, den wir fragen, wünscht „Viel Erfolg“ bei der Suchen nach „Legida“. Hoffentlich ist er nur höflich.

Leipizg hat Legida

Das Dumme ist nur: Leipzig hat Legida. Diese Menschen sammeln sich auf einem Platz an der Red Bull Arena, verteilen sich auf den Steinstufen, bilden in der Menschenmenge kleine Rudel von Deutschlandfahnen. Auf den ersten Blick ist auffällig: Hier sind wenige Frauen – weder alte noch junge – , fast keine Kinder, das ist anders als bei „Pegida“ in Dresden. Es gibt auch bei „Legida“ völlig unauffällig aussehende ältere Herren neben bulligen, durchtrainierten Männern mit Funktionsjacken mit „Frei.Wild“-Buttons. Aber viel mehr als in Dresden gibt es hier auch solche Teilnehmer in Szenekleidung, Thor Steinar, Lonsdale wird hier noch von rechts getragen, bulliges Schuhwerk, einschlägige Accessoires. Das schlägt auf die Stimmung. Die ist auf dem Platz von Anfang an hitzig und aggressiv. Es gibt Fahnen mit Trauerflor, aber auch „No Chemtrails“, „NSU-Schwindel aufdecken“ und „Ami go Home“-Plakate. Besonders perfide: Ein Bettlaken mit der Aufschrift: „Pegida = Charlie“.

„Das ist keine Veranstaltung gegen Asyl“

Auf der Bühne – denn in Leipig ist „Legida“ vorbereitet, es gibt Programm – läuft die Mimikry, die Verschleierung dessen, was die Teilnehmer_innen hier wirklich wollen. Hier werden Schilder mit „Pegida macht glücklich“ hochgehalten. Auf der Bühne steht Tatjana Festerling, AfD-Politikerin aus Hamburg, gegen die aktuell ein Parteiausschlussverfahren läuft, weil sie die Hogesa-Demos lobte. Sie sieht aus wie eine Sekretärin in einem beigefarbenen Steppmäntelchen und weiß ihr Publikum zu fesseln. Erst kommen die Mimikry-Sätze: „Wir sagen auch allen Muslimen, die gegen Islamisten sind: Schließt Euch an! Wir brauchen Euch!“ Dann beschreibt sie, wie sie ihren Job verlor, wegen der vielen bösen Presseberichte. Das ist Musik in den Ohren der Legida-Teilnehmer_innen: „Lü-gen-pre-sse!“ Endlich. „Das ist keine Veranstaltung gegen Asyl. Das ist eine Veranstaltung gegen Asylmissbrauch!“ Grölen, pfeifen, klatschen. Auch „Wir sind das Volk“ ist als Ruf wieder beliebt. Tatjana beschreibt, wie schön es ist, „mit Hunderten Gleichgesinnten hier zu stehen für die deutsche Kultur, Tradition.“ Auf eine Empore rollen „No Legida“-Demonstrant_innen Plakate mit der Aufschrift „Refugees Welcome“ aus. Die Gleichgesinnten brüllen wie am Spieß, als wollten sie diese Menschen sofort zerlegen. Von der Bühne aber wird gebeten: Keine Gewalt. Und ein Schweigemarsch soll es werden. 

Schweigemarsch – nein danke

Daraus wird nichts. Dabei hätten die „Legida“-Teilnehmer so schön schweigen können: Sie durften einfach laufen – Blockaden gibt es keine – und aus vielen dunklen Fenstern halt Beethovens „Ode an die Freude“, die Europahymne. Doch Legida versteht die Provokation, Legida schweigt nicht, Legida schreit. Neben „Lügenpresse“ und „Wir sind das Volk“ schreien sie aggressiv gegen jede Gegendemonstration, an der sie vorbeikommen. Und das sind viele. Dann brüllen sie: „Nazis raus!“ Das scheint zunächst absurd, gemeint ist aber „Linke Nazis raus!“, ein Topos, der auch von bei „Bärgida“ zu beobachten war („Rotlackierte Faschisten“). Wenn doch jemand an einem der Fenster der hohen Häuser zu sehen ist, die die Straßen der Demonstration säumen, brüllt die ganze Meute: „Spring! Spring!“ Wenn sie laufen, sieht man erst, wie viele Teilnehmer_innen hier zusammengekommen sind. Die Polizei spricht später von realistischen 4.800 Legida-Demonstranten. Die 30.000 Gegendemonstrant_innen, die in Leipzig auf der Straße sind, hört der Zug an jeder Ecke, egal, ob als Samba-Gruppe oder als Sprechchor. Wenn gerade keine Gegendemonstranten anzupöbeln sind, pöbeln die „Legida“-Teilnehmer Pressevertreter_innen an: „Macht keine Fotos! Reiht Euch ein!“ Später werden sie weniger freundlich, es wird für die Ordner schwieriger, alle Marsch-Teilnehmenden im Zaum zu halten. Am letzten Gegendemonstrations-Punkt vor der Abschlusskundgebung brüllen die Legidas: „Wir kommen wieder! Wir kommen wieder!“ Die Straßen sind engt, es hallt hier sehr laut, wenn so viele bullige Männer brüllen. Es ist furchterregend.

Legida in Alltag

Ich stehe mit einer Kollegin am Rand. Plötzlich kommt eine ältere Dame auf uns zu, mit Filzblume am Hut, schwarze Wildlederjacke. Sie sagt: „Ich will jetzt gehen. Ich wollte mir das hier mal angucken, aber jetzt habe ich Angst, dass gleich etwas passiert.“ Das verstehen wir. Allerdings meint sie nicht die brüllenden Männer, die gerade in Fußball-Hool-Manier mit ausgebreiteten Armen auf die Gegendemonstrant_innen einbrüllen. „Nein, hier bei uns ist alles friedlich, ganz friedlich! Die Gegendemonstranten, ich habe Angst, das die mich verprügeln!“ Möchte sie sich wirklich mit diesen Männern gemein machen, den grölenden, brutalen Islamfeinden? Sie redet sich in Rage: „Die Linken, die zünden ständig was an! Und die Türken in der Eisenbahnstraße, die beschimpfen mich als Nazi! Deshalb bin ich hier. Bei uns sind nur nette Jungs, ganz friedlich!“ Zur Abschlusskundgebung möchte sie aber nicht mehr, sie verschwindet in einer Seitenstraße. Wir sind froh, als wir wieder unter den vielen Menschen sind, die sich ein offenes, nicht-rassistisches, vielfältiges Leipzig wünschen, und dafür Plakate ausgehängt, Sprechchöre bildet oder das Licht in ihren Wohnungen ausgemacht haben, damit „Legida“ vor dunkler Kulisse versauert. Doch die anderen bleiben. Sie werden nicht wieder verschwinden.

Positionspapier stellt Legida weit nach rechts

Das Publikum kommt nicht von ungefähr. Der Leipziger Ableger von Pegida bemühte sich schon im Vorfeld weniger als sein Vorbild Pegida um ein „Bürgerliche-Mitte“-Image. Das Papier der „Legida“ ist durch eine völkische Blut- und Boden-Rhetorik geprägt und mit Begriffen gespickt, die auch von Rechtsextremen gern verwendet werden. Man will mit dem „Kriegsschuldkult und der Generationenhaftung“ aufräumen. Und die BRD ist laut dem Papier „nicht der Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches“ – das kennen wir von den Verschwörungstheorien der „Reichsbürger“.

Im Bereich Kulturbewahrung soll „insbesondere der islamischen Religion“ die freie Ausübung untersagt werden. Im weiteren warnt das Papier vor dem Verlust der „deutschen Kultur“, die durch eine multikulturelle Gesellschaft bedroht werde. Es ist ein homogener Kulturbegriff, der sich auf ein nationalistisches Verständnis stützt und auf eine christliche Tradition. Diese solle sich auch endlich in der bundesdeutschen Gesetzgebung wiederspiegeln. Richtig deutsch kann man dabei nur sein, wenn man dazu geboren wurde und nicht als Kind von Immigrant_innen. Unter diesen völkisch-nationalistischen und kulturrevisionistischen Forderungen scheint es dann kaum der Rede wert, dass auch eine Revision der Geschlechtergleichberechtigung gefordert wird. Und Eltern von Kindern mit Behinderung sollen deren Schulform nicht mehr frei wählen dürfen. 

Anmelder Jörg Hoyer handelt mit deutschen Antiquitäten aus der Zeit von 1914-1945

Mutmaßlicher Autor des Positionspapiers ist Jörg Hoyer, der die Demonstration in Leipzig schließlich angemeldet hat, nachdem der bisherige Anmelder zurückgetreten war. Hoyer kommt aus dem Dresdner Umland und betreibt ein „Sachverständigenbüro für Militärhistorik und Zeitgeschichte“ in Heidenau. Laut Medieninformationen soll Hoyer dabei auch mit NS-Devotionalien gehandelt haben, auch wenn diese Hakenkreuze oder Symbole der Waffen-SS trugen. Der Leipziger Volkszeitung gegenüber begründete er den Wechsel der Anmelder damit, dass in Leipzig die Anfeindungen gegenüber den namentlich bekannten „Legida“-Organisatoren besonders harsch seien: „Ich habe die Anmeldung übernommen, weil mein Grundstück in Heidenau weit weg und gut gesichert ist. Schließlich bewahre ich dort auch wertvolle Waffen auf.“

Gegenproteste sind lautstark und einfach immer dabei

35.000 Menschen gingen am Montag Abend gegen Legida auf die Straße. Das ist die höchste Zahl von Gegendemontrant_innen an einem Wochentag und ein deutlicher Erfolg der Leipziger. Mit mehreren Demonstrationen verschiedener gesellschaftlicher Spektren nahmen sie ihren Weg in das Waldstraßenviertel, dem Aufmarschort der rassistischen Legida-Demonstration. „Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Viele Menschen haben heute aktiv gezeigt, dass Rassismus und Islamfeindlichkeit in Leipzig keinen Platz haben. Legida wartete nur mit zirka einem Zehntel auf.“ so Juliane Nagel für das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“. So gelang es den Leipziger_innen, die Legida-Veranstaltung komplett durch lautstarken und sichtbaren Protest zu begleiten. Schon am Ort der Auftaktkundgebung stand eine große Gruppe Menschen und störte die Veranstaltung durch laute Rufe. Während dem gesamten Demonstrationszug der Legida waren die Straßen durch den Protest der Bürger_innen geprägt: aus zahlreichen Wohnungen überschallte die Europa-Hymne die „Wir sind das Volk“-Rufe und nahezu jeder Seitenstraßen warteten bereits Gegendemonstrant_innen mit Botschaften wie „Hass hat keine Zukunft“, „Haut ab!“ oder „Refugees Welcome“. Besonders die Gegenproteste von den Balkonen aus wurden von Legdida-Anhängern wiederholt mit dem Ruf „Springt! Springt!“ bedacht – dass Legida den Tod ihrer politischen Gegner_innen in Kauf nimmt ist nur ein Zeichen mehr dafür, dass sich hier keine „gewaltfreie“ Bewegung aufbaut.

Ausblick

Legida hat für die nächsten vier Wochen weitere Proteste angekündigt. Juliane Nagel vom Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ erklärte dazu: „Wir dürfen nicht dulden, dass rassistische Stimmungsmache auf den Leipziger Straßen zum selbstverständlichen Ritual wird.“ Man werde über weitere Gegenproteste für die kommenden Wochen beraten. 

Und bundesweit?

Bundesweit gingen über 100.000 Menschen am Montag, den 12.01.2015, gegen „Pegida“ & Co. auf die Straße – und rund 33.000 Menschen dafür.

Dresden: 25.000 Pegidas / 7.000 Gegendemonstrant_innen

Leipzig: 4.800 Pegidas / 30.000 Gegendemonstrant_innen

München: 1.500 Bagidas / 20.000 Teilnehmer_innen bei „München ist bunt“

Berlin: 400 Bärgidas / 4.000 Gegendemonstrant_innen (blockiert)

Düsseldorf: 350 Dügidas / 5.000 Gegendemonstrant_innen

Saarbrücken: 300 Saargidas / 9.000 Gegendemonstrant_innen

Hannover: 150 Hagidas / 17.000 Gegendemonstrant_innen (blockiert)

Rostock: Rogida abgesagt / 2.000 demonstrieren gegen Pegida

Schwerin: 200 MVGidas / 600 Menschen demonstrieren für ein friedliches Miteinander

Stralsund: MVGida noch unklar / 450 Menschen demonstrieren gegen Ausgrenzung und für Toleranz

Hamburg: 4.000 Menschen demonstrieren gegen Terror, Rassismus und Ausgrenzung

Mainz: 1.500 Menschen demonstrieren gegen Rassismus

Landau: 1.000 Menschen bei einer Kundgebung für Demokratie

Speyer: 250 Menschen bei Mahnwache gegen Rassismus

Trier: 100 Menschen demonstrieren für Demokratie und Pressefreiheit.

Auch in London haben Menschen gegen islamfeindliche Kundgebungen, Rassismus und Faschismus demonstriert. Über ein Megafon bekundeten die Demonstranten Solidarität mit den Kundgebungen gegen die Pegida-Bewegung.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de

| Alle Schwerpunkte

Weiterlesen

12125 Identitäre frustriert in Berlin aufmacher

Demonstration „Identitäre“ frustriert – Berlin blockiert

Am 17.06.2017 versuchten die „Identitären“ durch Berlin zu marschieren. Trotz Unterstützung durch „Pegida“-Kopf Lutz Bachmann und Abordnungen aus Frankreich und Italien waren die Neonazis ziemlich erfolglos. Nach knapp 850 Metern war Schluss. Da nutzten alle Fähnchen nichts. Fotoschau.

Von|
rassismus_toetet_-_pm_cheung_mut

Chronik KW 30 Rechte Gewalt in dieser Woche

Vom 23. bis zum 29. Juli 2022: Wöchentlich stellen wir rechtsextreme, rassistische und antisemitische Gewalttaten zusammen, um einen kleinen Überblick über die Alltäglichkeit rechter Gewalt zu geben. Eine unvollständige Chronik.

Von|
Eine Plattform der