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„Keine Stadt lässt sich gern als Tatort rassistischer Gewalt markieren“

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Nachdem die Stadt Hoyerswerda jahrelang zum rassistischen Pogrom 1991 schwieg, errichtete sie 2014 dieses umstrittene Denkmal in der Nähe des Tatorts. 1991 hatten Nazis und Bürger*innen tagelang die Unterkünfte von Flüchtlingen und Vertragsarbeiter*innen angegriffen, bis diese schließlich aus der Stadt gebracht wurden. (Quelle: Initiative Pogrom 91)

Findet ihr, dass der Kongress zum Zeitgeist passt? Derzeit flammen überall Demonstrationen von Rassist*innen auf, andererseits sind tausende Menschen damit beschäftigt ankommende Flüchtlinge zu unterstützen. Ist jetzt wirklich die richtige Zeit für einen Kongress der sich mit Gedenken, also einer Retrospektive beschäftigt?

Erinnerungsarbeit wie wir und die meisten der Gruppen sie sehen, die sich am Kongress beteiligen, ist immer mit Bezug auf die Gegenwart angelegt. Denn die Ursachen, warum es zu rechten Morden oder rassistischen Pogromen kommt, bleiben unabhängig von den betrachteten Zeiträumen leider oft die gleichen. So ist Rassismus nach wie vor ein gesamtgesellschaftliches Problem, das hat sich in den vergangenen Jahren leider nicht geändert und wird auch aktuell immer wieder in sozialwissenschaftlichen Studien bestätigt. Wir können das auch auf der Straße und in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke sehen.

Es gibt ganz praktische Beispiele dafür, wie Erinnerungsarbeit unmittelbar in die Gegenwart wirken kann. In Hoyerswerda hat eine kontinuierliche Erinnerungsarbeit zu 1991 immerhin mit dazu beitragen können, dass sich nach 20 Jahren des Schweigens einige zivilgesellschaftliche Akteure heute aktiv und öffentlich für Asylsuchende einsetzen. Auch rechte Straftaten wurden lange nicht verfolgt oder ernst genommen, das hat sich inzwischen aber etwas verbessert. 

Unabhängig von der jeweils aktuellen politischen Lage denken wir, dass jedes Opfer rechter Gewalt eine würdige Erinnerung verdient hat, damit ist u.a. gemeint, einer Relativierung und dem Vergessen von rechten Gewalttaten entgegenzutreten, sowie klar die Täter*innen und den gesamtgesellschaftlichen Kontext von rechten Morden zu benennen. Auch wenn es traurig ist: Diese Arbeit bleibt immer ein wichtiges Feld zivilgesellschaftlicher, antirassistischer und antifaschistischer Initiativen. Darüber hinaus sind viele der auf dem Gedenkkongress vertretenen Initiativen auch in anderen Zusammenhängen in aktuelle zivilgesellschaftliche, antifaschistische und antirassistische Arbeit eingebunden.

Welche Ziele verfolgt Ihr mit dem Kongress?

Viele Initiativen und Gruppen in Deutschland engagieren sich für die Erinnerung an die Opfer von rechtsmotivierten Morden und Gewalttaten. Sie agieren jedoch meist mit nur relativ kleinen Wirkungsräumen, das ist auch verständlich, denn Erinnerungsarbeit ist an den Orten am wirkungsvollsten, an denen sich die Taten ereigneten. Mit dem Kongress wollen wir diese Initiativen zusammenbringen und eine bundesweite Vernetzung anregen. Auch wenn die einzelnen Initiativen oft „nur“ in ihren Regionen arbeiten, sollte Gedenk- und Erinnerungsarbeit in einem bundesweiten Rahmen gestellt werden. Denn die Motive für rechtsmotivierte Morde und rassistische Pogrom sind überall sehr ähnlich – und wirken bis heute, wie an Heidenau und anderen Orten leider zu erleben ist.

Warum ist das Schwerpunktthema der Nationalsozialistische Untergrund NSU?

Aus der Arbeit von Gedenkinitiativen der vergangenen 25 bis 30 Jahre soll für die Erinnerungsarbeit an die Opfer des NSU gelernt werden. Deshalb ist der NSU Schwerpunktthema des Kongresses und wird auf vielen Veranstaltungen besprochen. Denn eines haben viele Erinnerungsinitiativen gelernt: keine Stadt lässt sich gern als „Tatort“ markieren, die Erinnerung an die Opfer rechter Morde und deren Ursachen bleibt nur lebendig, wenn nichtstaatliche Initiativen sich dafür einsetzen. Wir denken, dass es so auch beim Thema NSU sein wird: Nach dem Ende des Gerichtsprozesses in München und den Untersuchungsausschüssen in den Parlamenten wird es von zivilgesellschaftlichen, antifaschistischen und antirassistischen Initiativen abhängen, ob und wie an die Opfer der Nazigruppe erinnert wird.

Was ist Eure Kritik an der Gedenkpolitik, wie sie sich zum Beispiel in Hoyerswerda endlich etabliert hat? Die Stadt hat letztes Jahr schließlich ein Denkmal für das Pogrom 1991 errichtet. Wie wertet ihr das?

In wenigen Tagen jährt sich das rassistische Pogrom von Hoyerswerda zum 24. Mal, das Denkmal welches im vergangenen Jahr eingeweiht wurde, beruht auf einer Forderung, die zuerst von der Initiative „Pogrom 91“ aufgestellt wurde. Die Gruppe organisiert zusammen mit „Rassismus tötet!“ Leipzig den Gedenkkongress. Immerhin gibt es nach über 20 Jahren nun einen festen Ort im Stadtzentrum und in der Nähe einer der Tatorte, der an das  Ereignis erinnert. Allerdings wurden bei der Gestaltung des Denkmals weder Betroffene des rassistischen Pogroms einbezogen noch die Initiative „Pogrom 91“, welche sich für das Denkmal eingesetzt hatte. Leider wird auf dem Denkmal das Ereignis noch immer nicht als rassistisches Pogrom benannt, die Situation der Betroffenen spielt im Umgang der Stadt nach wie vor kaum eine Rolle. Ein Denkmal sollte zu einer offensiven Auseinandersetzung mit den Ursachen eines Ereignisses beitragen, im Falle von Hoyerswerda 1991 insbesondere rassistische und rechte Einstellungen, die vermeintlich ganz „normale“ Bürger*innen mit bekennenden und militanten Neonazis teilten und teilen. Leider sehen wir nicht, wie anhand der aktuellen Gestaltung des Denkmals eine solche Auseinandersetzung angestoßen werden kann.

Wer ist zum Kongress eingeladen?

Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet sind auf dem Gedenkkongress vertreten, darunter das Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“, in dem auch die bekannte Gruppe „Keupstraße ist überall“ organisiert ist, außerdem die „Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak B.“ aus Berlin, die  Initiative „Mord verjährt nicht!“ in Erinnerung an den vom NSU ermordeten Mehment Turgut aus Rostock sowie viele weitere. Wir freuen uns, dass wir für das Podium mit dem Thema „Staatliches und nichtstaatliches Gedenken und Aufarbeitung des NSU“ Katharina König und Miro Jennerjahn gewinnen konnten, die in den NSU-Untersuchungsausschüssen im Sächsischen bzw. Thüringischen Landtag aktiv waren.

Was wird das Highlight auf dem Kongress?

Wir sind natürlich auf die eben erwähnte Podiumsdiskussion gespannt, an der außerdem das Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“ und „Rassismus tötet!“ Leipzig teilnehmen. Neue Perspektiven erhoffen wir uns aus der Diskussion zur „Filmischen und künstlerischen Auseinandersetzung mit Gedenken und Erinnerung an rechte Morde und Gewalttaten“ mit der Dokumentarfilmerin Julia Oelkers („Cant’t be silent“) und dem Theaterschaffenden Dan Thy Nguyen („Sonnenblumenhaus“). Jede*r findet unabhängig davon wahrscheinlich seine eigenen Highlights in unserem umfangreichen Programm.

Wie kann man teilnehmen?

Die Teilnahme ist auch dank der Förderung durch die Amadeu Antonio Stiftung kostenlos und ohne Anmeldung möglich. Das heißt: Einfach vorbeikommen. Wir bieten für alle, die zum Kongress anreisen, Schlafplätze an, dafür bitten wir um eine zeitnahe Voranmeldung.

Mehr Informationen:

Alle Informationen zum Gedenkkongress 2015 findet man auf www.gedenkkongress.de , Facebook und Twitter. Er wird vom 11.-13. September in Leipzig stattfinden, die Teilnahme ist kostenlos. Gefördert wird er durch die Amadeu Antonio Stiftung und Spenden von Einzelpersonen sowie Politiker*innen.

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Pleiten, Pech und Pannen? Die NSU Affäre im Visier

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