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Juli – August 2014 Diskurse zu Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit

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Mit dem gewalttätigen Wiederaufleben des Gaza-Konflikts im Juli 2014 kehrt offener Antisemitismus zurück auf deutsche Straßen. Bei den aktuellen Pro-Palästina-Demonstrationen in Deutschland tendieren die Demonstrierenden aller Lager zu einer Anti-Israel-Haltung bis zum offenen Antisemitismus. Besonders sichtbar war dies in Berlin (tagesspiegel.de) und in Essen (wa.detagesspiegel.de). Der Störungsmelder berichtet über entsprechende Ausfälle im Internet. Anetta Kahane, Vorsitzender der Amadeu Antonio Stiftung, kommentiert: Der Hass gegen Israel wird bei Demonstrationen offen zur Schau getragen. (Berliner Zeitung). Es sind Tausende Menschen, die mehrere Tage lang in mehreren deutschen Städten gegen die israelische Militäraktion im Gazastreifen demonstrieren, antisemitische Parolen gehören zum Standard-Repertoire. In Hannover werden proisraelische Demonstranten aus der Demonstration heraus mit Tritten attackiert. In Göttingen griffen Teilnehmer der „Demonstration für Gaza“ eine Gegenkundgebung an, wie auf Bildern und Videos zu sehen ist. In Berlin wird bei einer Pro-Palästina-Demonstration ein zufälliger Passant judenfeindlich beschimpft. Als die Demonstranten den Touristen als Juden erkannten, hätten sie antisemitische Sprüche gerufen. Einen körperlichen Angriff hätten Ordner und Polizisten verhindert (Welt online). Der Antisemitismus flammt nicht nur in Deutschland auf: In Paris kam es zu Übergriffen gegen jüdische Läden (Spiegel online). Israels Botschafter in Berlin sieht eine Allianz aus „Islamisten, Neonazis und extremen Linken“ am Werk (Spiegel online). Beliebte Parolen werden gerichtlich geprüft: „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein“ stelle zwar keine Volksverhetzung dar, soll aber zukünftig per Auflage verboten werden. Dagegen befand das Gericht auch, die Rufe „Kindermörder Israel“ oder „Kindermörder Netanjahu“ seien nicht einmal eine Beleidigung (Tagesspiegel.de). In einem Video der Freitagspredigt in der Berlin-Neuköllner Al-Nur-Moschee, das im Internet veröffentlicht wird, ruft der Prediger: „O Allah, destroy the Zionist Jews.“ Dies allerdings ist Volksverhetzung (Tagesspiegel.deBerliner Kurier). Trotz der offensichtlichen antisemitsichen Hasspropaganda aus dem Demonstrationen wird in allen Sozialen und Offline-Medien wieder einmal diskutiert: Wie Israel kritisieren? (Kommentar bei sueddeutsche.de, Anleitung bei netz-gegen-nazis.de). Dabei ist wieder einmal bemerkenswert, wie schwer sich Teile der Partei „Die Linke“ tun,  die Unterscheidung zwischen Israel-Kritik und antisemitischer Hetze zu ziehen und beizubehalten (sueddeutsche.de).

Antiziganismus

Eine im Juli veröffentlichte Studie von Markus End mit dem Titel „Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit – Strategien und Mechanismen medialer Kommunikation“ zeigt, dass die Vorurteile gegen Sinti und Roma in Deutschland weiter so tief verwurzelt sind, dass sie permanent in der Medienberichterstattung wiederholt und damit natürlich weiter verfestigt werden. Reaktionen aus den Medien sind danach nicht zu verzeichnen, obwohl der Umgang mit Klischeebildern von Minderheiten in den Medien allgemein ein großes und oft unreflektiert entschuldigtes Problem darstellt, dessen Rassismus sich nicht mit Argumenten wie „Ich hab halt kein anderes Bild gefunden“ oder „dann erkennen die Leute, worum es geht“ entkräften lassen (ngn)

Alltagsrassismus

Auch im weiteren Verlauf der Fußballweltmeisterschaft 2014 nutzen Zuschauer_innen aus aller Welt die WM als Ventil, um wieder einmal richtig dem eigenen Rassismus zu frönen. Viele Beispiele finden Sie hier auf netz-gegen-nazis.de.

Rassistische Karikaturen gibt es weiterhin auch in der generellen Medienwelt. Diesmal ist es die FAZ, die eine rassistische Karikatur zum Thema Ärztemangel zeigt . Kritik lässt nicht auf sich warten – die FAZ blockt allerdings alle Verwürfe ab, bis die Redakteuere nachdenken und sich dann doch entschuldigen.  (taz).

Fakten gegen Vorurteile: Ein Gutachten des Kriminalwissenschaftlers Christian Pfeiffer für den Mediendienst Integration belegt, dass „Ausländerkriminalität“ ein Mythos ist. Junge Migranten begehen nicht mehr Straftaten als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Sie haben allerdings ein „erhöhtes Kriminalisierungsrisiko“, das heißt, sie werden eher angezeigt. Deutlich zeigt die Studie: Bildung macht den Unterschied – wer gefördert wird, schlägt weniger zu. Und das ist bei Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund so (Spiegel onlineMediendienst Integration).

Rechtsextremismus im Alltag

Treuenbrietzen (Brandenburg): Auch die etablierten Parteien sind vor rechtsextremem Gedankengut nicht sicher – diese Erfahrung muss nun die CDU in Treuenbrietzen machen. Nach Angaben eines Antifa-Netzwerks steht die Kommunalpolitikerin Nicola Brandstetter im Verdacht, ein führendes Neonazi-Forum unterstützt zu haben. Anfang der Woche musste die Beisitzerin des CDU-Stadtverbandes ihren Hut nehmen. Jahrelang hatte sie eine doppelte Existenz geführt. Die Vorwürfe gegen Nicola Brandstetter wiegen schwer, denn die eigentlich aus Österreich stammende Erzieherin soll eine führende Rolle im Internet-Forum ‚Thiazi.net‘ gespielt haben. Laut einer Dokumentation des Freiburger Antifa-Netzwerks galt ‚Thiazi‘ seit seiner Gründung 2007 als eines der bundesweit wichtigsten Portale der Neonazi-Szene. Der Kindergarten, in dem sie als Erzieherin arbeitet, will sie aber behalten, und versucht das mit der Augen-zu-Technik: „Das ist nicht unsere Nicola, von der wir da erfahren mussten.“ (rbb online) Später musste sich die Kita-Leitung allerdings der Realität stellen und zog doch Konsequenzen: Brandstetter musste gehen (Potsdamer Neueste Nachrichten).

Im bayerischen Oberprex (83 Einwohner) wohnt seit Januar 2014 Tony Gentsch. Der ist im Ort nicht gern gesehen, denn er ist nicht nur ein Neonazi, sondern nutzt sein Haus, den ehemaligen Gasthof „Egerländer“, auch, um „nationale Informationsveranstaltungen“ durchzuführen. Außerdem betreibt er aus dem Gebäude gemeinsam mit dem Fürther Neonazis Matthias Fischer einen florierenden Online-Handel namens „Final Resistance“, der für Nazis Bekleidung, Musik und Bücher im Angebot hat. Im Juli gab er vor, etwas gegen sein schlechtes Image tun zu wollen und lud zum „Bürgerfest“ mit Liedermachern und Reden (Sueddeutsche.de). Die Anwohner_innen kamen allerdings höchstens vor das Haus, um zu protestieren, die Besucher_innen stammten nicht aus Oberprex, sondern aus der benachbarten rechtsextremen Szene (Quelle). Wenig später hatte sich das Thema für Oberprex allerdings ganz erledigt: Bei einer Razzia gegen das Freie Netz Süd, ebenfalls im Juli 2014, beschlagnahmte die bayerische Polizei die Waren des Onlineshops. Gentsch musste das Haus, dass seiner Mutter gehört, verlassen (ngn). 

Es ist eine zweifelhafte Berühmtheit, die das Dorf Stresow (Sachsen-Anhalt) bei den letzten Landtagswahlen 2011 erlangt hat. Damals machte jeder vierte Einwohner sein Kreuzchen bei der NPD. Jetzt sorgt die kleine Gemeinde in der Nähe von Magdeburg wieder für Schlagzeilen. Im Ortschaftsrat sitzt nun Dennis Wesemann, ein rechtsextremer Hooligan. Dessen Biografie liest sich wie ein Auszug aus einem Polizeibericht. Gefährliche Körperverletzung, Landesfriedensbruch, Zeigen von Symbolen verfassungswidriger und verbotener Organisationen. Er ist auch der Star des bundesweit in die Schlagzeilen geratenen Fußballvereins Ostelbien Dornburg, der sich aus Neonazis rekrutiert. Jetzt ist der vorbestrafte rechtsextreme Hooligan Dennis Wesemann bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt als Einzelbewerber in den Ortschaftsrat von Stresow gewählt worden. 71 von 256 Stimmen konnte er auf sich vereinen. Das mit Abstand beste Ergebnis aller Stresower Kandidaten entspricht zwei Mandaten, weshalb ein Sitz nun unbesetzt bleiben muss (Deutschlandfunk).

Ein Stadtvertreter einer Wählervereinigung, die von der Szene selbst als „NPD-nah“ gesehen wird, möchte nicht „rechts“ sein. Doch Dan Schünemann; der als Vertreter der rechten Tarn-Initiative „Alternative für Torgelow“ im Stadtparlament von Torgelow (Mecklenburg-Vorpommern) sitzt, hat natürlich Gründe für seine Weigerung, sich nicht als Rechtsaußen-Politiker zu bekennen: Er hat seinem Job bei einem Sicherheitsunternehmen nach dem Parlamentseinzug verloren. Die Parolen der „Alternative für Torgelow“ waren den Unternehmen offenbar unvereinbar mit seiner Einstellung (Endstation rechts). Eventuell noch ergänzen

Wenn ein Ehepaar mit drei Kindern in der Gemeinde engagiert ist, im Elternbeirat der Grundschule, als Sponsor für Jugendmannschaften des Sportvereins, im Ferienprogramm der Gemeinde, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass dies Teil eines Doppellebens ist. Doch bei einer niederbayerischen Familie ist es genau so: Das Ehepaar gehört nämlich außerem zu den Gründungsmitgliedern des rechtsextremen Umweltvereins „Midgard“, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Für das von „Midgard“ herausgegebene Magazin „Umwelt & Aktiv“ waren beide als Autoren tätig. Das kommt allerdings nicht von ungefähr: Jochen Meier ist in der rechten Szene kein Unbekannter, trat für die NPD bei Wahlen an und war als Schatzmeister im Vorstand von Midgard. Vereinsarbeit ist für die Rechtsextremen eine wirkungsvolle Strategie, über soziale Verankerung eine Plattform für ihre rechtsextremen Überzeugungen zu schaffen (pnp.de)

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

Januar – Februar 2014: Diskurse zu Gruppenbezogener MenschenfeindlichkeitDiesmal mit Antiziganismus aus der CSU, Homophobie als Koketierthema für Konservative und „Lookismus gegen Rechts“.

März – April 2014: Diskurse zu Gruppenbezogener MenschenfeindlichkeitDiesmal betrachten wir die AfD als deutsche Teaparty und Anzugspunkt für Burschenschaflter, die Homophobie der „Initiative Besorgte Eltern“, der Hass von Akif Pirincci, der rassistische Shitstorm gegen „Topmodel“-Kandidatin Aminata Sanogo und die Montagsdemonstrationen im Griff der Verschwörungsideologien.

Mai – Juni 2014: Diskurse zu Gruppenbezogener MenschenfeindlichkeitDiesmal betrachten wir, wie es sich als Rechtsextremer arbeiten lässt – im Speditionsunternehmen, im Jobcenter, als Kita-Erzieher, im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als Universitätsdozent oder bei der Polizei.

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