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Jahresrückblick 2010 – Totalkollaps der DVU und Kameradschaftsauflösung in Brandenburg

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Heute antwortet Christoph Schulze von der Opferperspektive Brandenburg.

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Brandenburg im Jahr 2010, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus?

Als Opferberatung stehen in unserer Arbeit natürlich vor allem Gewalttaten und Anschläge im Vordergrund und wir kommen nicht umhin, festzustellen: Rechte Gewalt ist in Brandenburg weiterhin auf hohem Niveau. Auffällig war in diesem Jahr die Gewalt gegen politische Gegner. Anfang des Jahres verübten Neonazis einen Brandanschlag auf das ?Haus der Demokratie? in Zossen. Es war erst im Herbst 2009 von der Bürgerinitiative ?Zossen zeigt Gesicht? eröffnet worden. Das Haus wurde durch den Brand vollständig zerstört. Vorfälle dieser Art, wenn auch mit etwas weniger gravierenden Folgen, ziehen sich durch das ganze Jahr 2010 ? und das in stärkerem Maße, als es bisher der Fall war.

In Cottbus gab es einen Anschlag auf ein alternatives Wohnprojekt, das gleiche ist aus Neuruppin zu berichten. In Spremberg gab es gleich mehrere Angriffe auf den alternativen Jugendtreff ?Piraten?. Während des Spremberger ?Heimatfestes? im August wurden alternative Jugendliche und Punks von Neonazis attackiert. Später versuchten sie, das Haus der ?Piraten? zu stürmen. In diesem Fall droht die Strategie der Neonazis aufzugehen: Mit der Begründung der rechten Gewaltattacken wurde dem Jugendklub der Mietvertrag gekündigt.

Bemerkenswert war 2010 außerdem der Totalkollaps der DVU in Brandenburg. Über Jahre hinweg war hier das Vorzeigeland der DVU. Die Partei flog allerdings bei den Landtagswahlen 2009 mit nur etwa 1 Prozent der Stimmen aus dem Landtag. In der Folge fiel das Kartenhaus zusammen. Im Laufe des Jahres ist von den ?Vorzeigestrukturen? nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen hat die NPD vom Wegfall dieser Konkurrenz profitiert. Sie konnte ihren Einfluss erheblich ausbauen. Wie umfassend das ist, kann man zurzeit nur schwer einschätzen. Sichtbarer geworden ist auf jeden Fall ihre Strategie, Neonazis verstärkt einzubinden. Ein Beispiel hierfür ist Alexander Bode. Er war 1999 bei der Hetzjagd auf einen Asylbewerber in Guben beteiligt und kandidiert inzwischen für die NPD. Anfang Oktober hat die NPD außerdem eine Großveranstaltung mit Rechtsrock-Konzert organisiert, den sogenannten Preußentag, und damit ihre Verbindung zur Neonazi-Szene deutlich gemacht. Man kann sagen, dass die letzten Hüllen gefallen sind und die NPD sich jetzt noch deutlicher als zuvor auch öffentlich als Neonazipartei zeigt.

Doch es gibt auch einen positiven Punkt, der 2010 herausragte. Im Frühjahr und Sommer hatte die ?Kameradschaft Märkisch Oder Barnim? eine Aufmarschserie angekündigt. Dagegen hat sich ein sehr aktives Bündnis unter dem Motto ?Brandenburg nazifrei? zusammengefunden. Das Bündnis ist von unten gewachsen, aus den Initiativen vor Ort, und in ihm haben sich die verschiedenen betroffenen Städte zusammengefunden. Nach dem Vorbild der erfolgreichen Blockade in Dresden im Februar wurden Sitzblockaden gegen die Neonazi-Aufmärsche organisiert – und zwar außerordentlich erfolgreich: Die Aufmärsche in Bernau und Strausberg konnten blockiert werden, drei weitere hat die Kameradschaft selbst abgesagt und schließlich hat sie sich ganz aufgelöst, noch vor dem Abschluss der geplanten Aufmarschserie.

Für die Auflösung der Kameradschaft hat es wahrscheinlich eine Rolle gespielt, dass die Polizei Hausdurchsuchungen durchgeführt hat. Doch ohne den Druck der Zivilgesellschaft wäre es sicher nicht zu der schnellen Selbstauflösung gekommen. Natürlich heißt das jetzt nicht, dass diese Leute verschwunden sind, aber das politische Gefäß, in dem sie sich zusammengefunden haben, ist zumindest zerbrochen.

Was erwarten Sie 2011?

Großdemonstrationen der Szene oder Kristallisationspunkte wie Wahlen stehen in Brandenburg nicht auf dem Kalender für 2011. Prognosen, welchen Fokus sich die Rechten setzen werden, sind darum zu diesem Zeitpunkt schwerlich anzustellen. Sicherlich gilt es, bestimmte Entwicklungen im Auge zu behalten. Verstetigen sich gewisse Tendenzen oder verlagern sich die Schwerpunkte wieder? Ein Beispiel: Eine interessante Frage im nächsten Jahr ist, ob die NPD weiter an den rechten Subkulturen dranbleiben wird. Brandenburg war immer ein Schwerpunktland der Rechtsrock-Szene. Gleichzeitig gab es bisher eine sehr restriktive Genehmigungspraxis für diese Konzerte. In der Folge musste die rechte Szene auf andere Bundesländer ausweichen. Doch 2010 hat die NPD im Zusammenhang mit dem ?Preußentag? ein Rechtsrock-Open-Air veranstaltet, außerdem trat die rechte Hooligan-Band ?Kategorie C ? Hungrige Wölfe? in Brandenburg auf. Die Frage lautet also: Findet die rechte Szene wieder Möglichkeiten, verstärkt Konzerte im Land selbst zu veranstalten? Erodiert der bisherige restriktive Umgang mit solchen Konzerten? Die Entwicklung muss jedenfalls genau beobachtet werden.

Die Fragen stellte Christine Lang.

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| www.opferperspektive.de

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