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Hass im Internet aktuell (1) – Gibt es im Moment mehr Hass?

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Titelbild der Facebook-Seite "Perlen aus Freital": Das Monitoring rechtsextremer Hass-Seiten - also das Beobachten und Dokumentieren der Inhalte dort - mach die Dimension des rassistischen Hasses sichtbar. (Quelle: Screenshot "Perlen aus Freital")

Gibt es aktuell mehr Hass im Internet?

Das Internet ist sehr groß, verlässliche Zahlen zu Hasspostings praktisch kaum ermittelbar. Auch versucht wird eine Erfassung derzeit nicht wirklich. Also bleibt eine inhaltliche Analyse.

Offensichtlich: Der rassistische Hass, besonders gegen Flüchtlinge, ist aktuell besonders sichtbar.  Es gibt zahlreichen feindliche „Bürgerinitiativen“ oder gar „Bürgerwehren“ etwa in Sozialen Netzwerken – in der Regel mit regionalem Schwerpunkt angelegt. Bei unserer letzten Zählung waren es mindestens 100 Gruppen allein auf Facebook. In den Medien war jüngst etwa das sächsische Freital, dass gleich drei solche lokalen Gruppen hat: „Freital wehrt sich – Nein zum Hotelheim“, „Frigida – unsere Stadt bleibt sauber“ und „Bürgerwehr FTL/360. Bestückt werden diese Hassgruppen nicht nur mit lokalen News, sondern auch mit hetzerischen Inhalten von bundesweiten Sammlungsseiten wie „Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland“ (30.000 Fans), auch „Pegida“ spielt hier eine Rolle (weiterhin 156.000 Fans auf FB), ebenso die zahlreichen Rechtsaußen-Medien wie die „Junge Freiheit“, die „Kopp-Nachrichten“ oder „Politically Incorrect“. Das macht die Verbreitung von rassistischem Hass weniger aufwändig für den einzelnen, lokalen Admin.    Auswahl von „Nein zum Heim“-Seiten auf Facebook (Screenshot 23.07.2015) Kaum eine Erwähnung des Themas „Flüchtlinge“ im Internet mit Kommentarfunktion kommt derzeit um einen rassistischen Shitstorm herum – egal, ob auf einer Medien-Seite, auf Promi-Seiten (aktuell ging das Beispiel von Til Schweiger durch die Medien), völlig unpolitische Seiten (z.B. für Familien) – und erst Recht ist das der Fall auf jeder Seite, jedem Forum etc., das sich bewusst mit diesen Themen auseinandersetzt. Das heißt: Die Rassist_innen sind aktuell besonders sendungsbewusst, besonders aktiv im Internet, besonders strategisch, sehr organisiert (über rechtspopulistische Medien und Facebook-Gruppen zum Beispiel) – und fahren hier klar die Strategie, andere so lange zu bedrohen, einzuschüchtern, zu nerven, bis diese aufgeben zu diskutieren und so mundtot gemacht werden. Danach erscheint die Hass-Meinung als Mehrheitsmeinung.  Hier muss gutes Community-Management eingreifen! In den Diskussionen wird in der Regel schnell das ganze Register des Rechtspopulismus gezogen: Es geht dann nicht mehr „nur“ gegen Flüchtlinge, nicht mehr „nur“ um Rassismus, sondern gleich gegen alle möglichen weiteren Gruppen, die Rechtspopulist_innen nicht gefallen. „Top“ nach Flüchtlingen: Hetze gegen sexuelle Vielfalt, gegen „Gutmenschen“,  Demokratie an sich, Medien etc. Diese Strategie ist in rechtspopulistischen Kreisen nicht Neues – aber alle, die bisher nicht in diese Kreise gehörten, sondern etwa als unauffällige Alltagsrassist_innen und Stammtischgrantler_innen ihre Vorurteile pflegten, lernen nun den ganzen Kosmos kennen und schätzen – etwa durch „Pegida“, in dessen Schilderwald sich die Auswahl an Hassthemen stets findet. Das Internet bietet dann schnell zugängliche die Vertiefung dieser „Kenntnisse“. Durch die aktuelle größere Sichtbarkeit des Phänomens wird nun mehr Menschen (mehr User_innen, mehr Journalist_innen) auch der völlige Mangel an Anstand und Niveau in diesen Kreisen bewusst: Attacken gegen die Menschenwürde von Flüchtlingen wie Mit-Diskutant_innen, Gewaltaufrufe, Mordandrohungen bis zu Rufen nach einem neuen Holocaust, Verrohung in Sprache und Handlung, völlige Unkenntnis über Grundlagen der Demokratie oder Menschenrechte – wie auch die völlige Unwilligkeit, die Privilegien der Demokratie auf irgendjemand anderes anzuwenden als auf sich selbst (siehe z.B. Collage Titelbild). Eine neue Dimension: Die Hemmungslosigkeit, mit der das geschieht. Während Neonazis volksverhetzende, rassistische, zu Gewalt aufrufende oder solche verherrlichenden Inhalte oft taktisch nicht unklug unter Fantasienamen und Fake-Accounts äußern, ist das den Alltags-Rassist_innen und Rechtspopulist_innen, die sich jetzt im Internet breit machen, zunehmend egal: Rassistische Hassrede bis zu Mordaufrufen wird unter Klarnamen, mit offenen Profilen gepostet. Was heißt:

o   Entweder sind sich die Verfasser_innen nicht über die Reichweite und Sichtbarkeit ihrer Postings bewusst.o   Oder es ist ihnen egal, weil ihnen dieser Rassismus à la „hoffentlich verrecken die alle auf dem Mittelmeer“ inzwischen gesellschaftlich akzeptabel und sagbar erscheint (zu befürchten).o   Strafrechtliche Konsequenzen werden hier offensichtlich noch zu wenig angewandt, um einen Abschreckungseffekt zu erzielen (dringend nötig!)    

Eine Folge davon: Auch die Hemmungslosigkeit, andere Menschen konkret zu bedrohen, sinkt. In letzter Zeit wurden die Macher_innen vieler Seiten gegen diese rassistische Hassrede bedroht, etwa die Machern von „Perlen aus Freital“ oder auch die Initiator_innen der Petition „Heime ohne Hass“. Oft werden zugleich Verwandte und Familie bedroht, was das Engagement umso schwerer macht. Wenn Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, sich in einem Interview so äußert, dass es Rechtsextremen und Rechtspopulist_innen nicht gefällt,  führt dies – nach ausführlicher Berichterstattung in „Junge Freiheit“ und „Kopp Nachrichten“ – zu einer Hass-Seite auf Facebook, die innerhalb eines Tages 400 Likes hat.

Ist das eine bedrohliche Entwicklung?

Ja. Und deshalb sollte wir ihr mit allem entgegentreten, was wir haben: Zivilgesellschaftlichem Engagement, Engagement  und Verantwortung der Media- Unternehmen, klare Rahmensetzung durch die Politik, Ahndung von strafrechtlich relevanten Verstößen durch Polizei und Justiz. Einsatz für Demokratie ist keine politische Positionierung, sondern die Grundlage unseres Staates und Zusammenlebens.

Teil 1: Gibt es im Moment mehr Hass?Teil 2: Wo kommt der Hass nur her?Teil 3: Hass-Karten und der Zusammenhang zwischen Netz und ÜbergriffenTeil 4: Hass-Emails und Agieren der NetzwerkeTeil 5: Was können wir konkret gegen den Hass im Internet tun?Teil 6: Endlich: Mehr saftige Strafen für Hate-Speech im Internet 

Mehr im Internet:

Am Samstag, den 18.07.2015, diskutierte NgN-Chefredakteurin Simone Rafael eine Stunde lang zum Thema „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen! Was tun mit dem Hass im Netz“ in der Sendung „Breitband“ auf Deutschlandradiokultur – den MP3-Podcast gibt es hier:|breitband.deutschlandradiokultur.de/brb150718/

Auch das ZDF Morgenmagazin interessierte sich für das Thema, den Beitrag gibt es hier:| www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/2452236/Hetze-gegen-Fluechtlinge-im-Netz#/beitrag/video/2452236/Hetze-gegen-Fluechtlinge-im-Netz

Und Johannes Baldauf von unserem Partnerprojekt no-nazi.net hat es dem mdr erläutert:| www.mdr.de/mdr-figaro/journal/audio1225242.html

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