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Dresdner Anti-Nazi-Demo „Man gerät leicht in Verdacht“

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An einem Sonntag im August treffen sich die Feinde des Freistaates zum zwanglosen Kennenlernen bei Kaffee. Noch bevor das erste Wort fällt, zerlegen sie hektisch ihre Handys. Sie befürchten, die Polizei höre sonst mit.

Da sitzt ein bärtiger Pfarrer aus Jena im Stuhlkreis. Da sind einige schmächtige Studenten. Da ist ein großer, dicker Kerl, der den Eindruck macht, allenfalls in Computerspielen gefährlich zu sein. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft bilden die Menschen im Raum eine kriminelle Vereinigung. Eine Art kampferprobte „Antifa-Sportgruppe“, die in Dresden seit anderthalb Jahren gezielt Andersdenkende angreife. Einer ihrer Anführer, hieß es, sei der protestantische Jugendpfarrer Lothar König.

König ist ein Berg von einem Gottesmann. Seine riesigen Füße stecken in Birkenstocksandalen, sein Bart wuchert wie wildes Kraut, das lange Haar hängt herab wie graues Lametta. Der Geistliche wiegt sicher 100 Kilo. Sportgruppe? Kampferprobt? Er hält den Kopf schief und lacht.

Viele derer, die sich hier treffen, haben eine Hausdurchsuchung hinter sich. Bei manchen ist davon auszugehen, dass Telefongespräche mitgehört wurden. Die Razzia bei Pfarrer König, durchgeführt von sächsischen Polizisten in dessen Jenaer Dienstwohnung, wurde bundesweit bekannt.

König beteuert, dass er die zwei Dutzend Leute, die seine „kriminelle Vereinigung“ sein sollen, nie zuvor gesehen habe. Er kenne sie erst, seit ihm das Landgericht Dresden eine Liste schickte: die aller Verdächtigen. Man habe sich dann zusammentelefoniert, sagt König: „Und wir verstehen uns gut.“

Man muss aufpassen, dass man Gruppen wie jene, die sich hier trifft, nicht verklärt. Es gibt darin Leute, die einen Aufruf zur Gewaltlosigkeit niemals unterschreiben würden. Zumindest das Verfahren gegen Lothar König jedoch musste die Staatsanwaltschaft inzwischen aufgeben. Jüngst erhielt der Pfarrer einen Brief, in dem man ihm mitteilt: Das „Ermittlungsverfahren gegen Sie wegen Bildung krimineller Vereinigungen“ sei eingestellt worden.

„Man ist Kritik wohl nicht gewohnt“, vermutet Wolfgang Thierse

Sachsens Generalstaatsanwalt residiert nah am Dresdner Sachsenplatz. Sein Büro hat die Größe einer Dorfkapelle; wie in einer Kirche läuft die Decke nach oben spitz zu. Klaus Fleischmann ist der Chefermittler des Landes, ein mächtiger Mann mit Schnauzbart. Er ist in den Ruf geraten, Linke zu jagen. Er sagt, das ärgere ihn.

Wer Fleischmann fragt, warum er so energisch ermittle, bekommt einen Stein vors Gesicht. Es ist ein schwerer Quader. Fleischmann legt ihn auf den Tisch. „Dieser Stein“, sagt er, „ist in meiner Nähe gelandet!“ Dann erzählt er vom 19. Februar: jenem Tag, als 2.000 Neonazis durch Dresden marschieren wollten. Und als Tausende Menschen versuchten, das zu verhindern. Der 19.Februar, sagt Fleischmann, sei ein bedrohlicher Tag gewesen. Vermummte. Gewalttäter. Etwa 100 verletzte Polizisten. „Es ist die Pflicht eines Ermittlers, dafür zu sorgen, dass Sachverhalte aufgeklärt werden“, sagt der 60-Jährige. „Dafür hat er alle ihm gegebenen Mittel einzusetzen.“

Genau das aber ist der Vorwurf, der Sachsens Justizbehörden in diesen Wochen gemacht wird: Dass ihnen, bei der Suche nach linken Gewalttätern, mittlerweile jedes Mittel recht sei. In Sachsen wird die Frage diskutiert, ob es eine besondere Staatsform gebe: die „sächsische Demokratie“. In der man, wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagt, „leicht in Verdacht gerät“. Nämlich schon dann, wenn man sich lediglich am Protest gegen Rechtsextremismus beteiligt. Die Härte des Systems, so überschrieb der Spiegel jüngst einen Text über das „seltsame Verhältnis der Dresdner Landesregierung zum Rechtsstaat“. Politiker aus ganz Deutschland empören sich öffentlich über rasenden Ermittlungseifer, über eine Kaskade eigentümlichen Übermutes der sächsischen Justiz.

Zu den Kritikern gehört auch eben jener Wolfgang Thierse. Der 67-Jährige ist am 19. Februar nach Dresden gefahren ? als Gast, wie er sagt. Er stellte sich zu den Gegendemonstranten und beobachtete die Szenerie: die Nazis, wie sie marschierten; die Polizei, wie sie ihnen den Aufmarsch zu ermöglichen hatte. Und wie sie gezwungen war, Gegendemonstranten fernzuhalten. Einem Kamerateam erklärte Thierse auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen jenes Tages: „Die Polizei ist eben vollauf damit beschäftigt, die Neonazis zu beschützen. Das ist sächsische Demokratie.“ Er meinte das als Kritik am Trennungskonzept von Stadt und Gerichten, das die Polizei in diese Lage gebracht hatte. Er wurde, vielleicht sehr bewusst, falsch verstanden.

Der Vizechef einer sächsischen Polizeidirektion zeigte Thierse sogleich an. Innenminister Markus Ulbig (CDU) scholt ihn öffentlich. Der frühere LKA-Chef Paul Scholz schrieb einen Zeitungsbeitrag: Thierses Kritik an Polizei und Justiz grenzt ans Unerträgliche . Die Frage ist: Wie kann einem Rechtsstaat Kritik unerträglich sein?

„Die Vehemenz, mit der sich hier staatliche Organe Kritik verbitten, habe ich anderswo noch nie erlebt“, sagt Thierse nun. Und: „Wenn einer etwas Kritisches sagt, gilt das gleich als Einmischung in innere Angelegenheiten. Auf mich wirkt das beinahe so, als gäbe es eine sächsische Breschnew-Doktrin. Man ist Kritik wohl nicht gewohnt.“ Er beobachte „Anzeichen einer Verschwisterung zwischen einer Partei und dem Beamtenapparat“ ? nach 20 Jahren CDU-Herrschaft im Freistaat.

In Dresden wurden weit mehr Mobilfunkdaten erfasst als anderswo

Kritik verbittet sich die Justiz auch im derzeit dramatischsten Fall sächsischen Ermittlungseifers: Richterlich genehmigt, ließ sich die Staatsanwaltschaft nach dem 19. Februar von den Netzbetreibern die Handy-Verkehrsdaten großer Teile Dresdens zur Verfügung stellen. Zeitweise erfassten die Ermittler sämtliche Verbindungsdaten der Innenstadt, in einem Viertel sogar über volle 48 Stunden. Sie sammelten insgesamt weit mehr als eine Million Verkehrsdaten ? von Hunderttausenden Anschlüssen. Erfasst wurden die ein- und ausgehenden Anrufe und SMS auch unbeteiligter Bürger, Journalisten, Abgeordneter ? zwar nicht inhaltlich. Aber theoretisch wäre nachvollziehbar, wer mit wem telefoniert hat. Wer wem geschrieben hat. Wer wann wo war. Eine Million Daten. Das ist es, was viele gegen die Staatsmacht aufbringt.

Von Andreas Schurig, dem Sächsischen Datenschutzbeauftragten, wurden die Fahnder in der vergangenen Woche harsch gerügt ? für die wohl größte Funkzellenabfrage der Republik. Ohne jede Verhältnismäßigkeit hätten die Behörden Daten zusammengeklaubt, sagt Schurig; eine Abwägung, in welchem Umfang Interessen Unbeteiligter verletzt werden könnten, habe vorab nicht stattgefunden. „Bereits die zeitlichen und örtlichen Ausmaße waren nicht angemessen“, resümiert Schurig. Angemessen wäre eher eine Abfrage über zwei Minuten gewesen. Nicht über zwei Tage.

Es habe auch kein ausreichendes Konzept gegeben, wie man die Daten ohne Kollateralschäden rasch auswerten könnte. Bis heute behielten Landeskriminalamt und Polizei selbst jenes Material, das sie nicht mehr benötigten, in ihren Computern gespeichert. „Die Funkzellenabfrage in Dresden halte ich weiterhin für verhältnismäßig“, sagt Generalstaatsanwalt Fleischmann. „Und die Datenmenge ist so groß, wie sie ist.“ Es liege in der Natur der Sache, dass eine Funkzellenabfrage in der Sächsischen Schweiz weniger Daten produziere als etwa eine auf dem Dresdner Kirchentag. Im ersten Fall seien einfach weniger Menschen unterwegs.

Allerdings: Gerade beim Kirchentag käme eine Funkzellenabfrage wohl nur dann infrage, wenn allerschwerste Verbrechen aufzuklären wären. Zu viele Unbeteiligte landeten sonst in den Datenbanken.

Hinter vorgehaltener Hand räumen selbst Ermittler längst ein: Möglicherweise war die ganze Abfrage ein gewaltiger Aufwand ohne den geringsten Erfolg. Und auch das Argument, die Funkzellenabfrage sei ja schließlich richterlich genehmigt gewesen, erscheint im Rückblick fragwürdig: Die Staatsanwaltschaft Dresden habe dem Amtsgericht ein bereits vorformuliertes Genehmigungsschreiben zur Unterschrift vorgelegt, berichtet Datenschützer Schurig: „Sie hatte den Briefkopf des Gerichts schon im Computer.“ So erscheint der Richtervorbehalt, der übereifrige Ermittlungen eigentlich verhindern soll, ad absurdum geführt. Dass die Handyabfrage aus dem Ruder gelaufen ist, hat die Staatsregierung mittlerweile wohl selbst erkannt: Sie schlug eine Bundesratsinitiative vor, die künftige Ermittlungen dieser Art strengeren Regeln unterwerfen soll.

Bei allen leisen Selbstzweifeln reiht sich die Handydatenaffäre ein in eine auffällige Serie von merkwürdig hartem Vorgehen.

Da ist zum Beispiel die Aufregung um das „Haus der Begegnung“ in Dresden: Am 19. Februar stürmten rund 100 Polizisten das Gebäude, weil man vermutete, von hier aus würden Steinwürfe koordiniert ? ganz nebenbei brach man eine Anwaltskanzlei auf mit der Begründung, dort könnten sich Flüchtige verstecken.

Da ist die Hausdurchsuchung beim eingangs erwähnten Pfarrer König in Jena: Ihm warf man nicht nur die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Bis heute wird gegen ihn auch wegen aufwieglerischen Landfriedensbruchs ermittelt, weil er am 19. Februar mit einem VW-Bus durch die Menge fuhr und Protest organisierte. Anfang August durchwühlte ein Aufgebot sächsischer Beamter Königs Dienstwohnung in Jena: Ihr Auftritt war martialisch, sie kamen in Kampfmontur. Sie trugen Computer und Dokumente aus dem Haus. Sie beschlagnahmten sogar den VW-Bus ? als mögliche „Tatwaffe“. Schnell war die Rede von einer „Sachsenrazzia“, denn viele in Thüringen, vom Jenaer Oberbürgermeister bis zum Erfurter Justizminister, zeigten sich verwundert: Was hat die sächsische Polizei in der Thüringer Pfarrerswohnung verloren?

Der Auftritt seiner Beamten in Jena ist heute selbst dem sächsischen Innenminister ein bisschen unangenehm, man sieht das Markus Ulbig an, wenn man ihn danach fragt. Die Beteiligten müssten daraus lernen, sagt er, meint aber damit nicht die Durchsuchung selbst ? sondern den Auftritt in Kampfmontur.

Schließlich sind da die Ermittlungen gegen André Hahn, den Chef der Linksfraktion im Sächsischen Landtag. Er hatte am 13. Februar 2010 gegen den rechtsextremen Aufmarsch protestiert. Die Staatsanwaltschaft will Hahn als „Organisator und Kopf“ einer Blockade ermittelt haben ? an der er selbst nachweislich nicht teilnahm. Sie will nun die Abgeordnetenimmunität von Sachsens Oppositionsführer aufheben lassen, um ihn anzuklagen.

Gegen 200 Blockierer vom 19. Februar 2011 ging die Staatsanwaltschaft zudem vor, Dutzende von ihnen, darunter Sachsens SPD-Chef Martin Dulig, zahlten Geldstrafen. 80 könnten sich bald vor Gericht wiederfinden, weil sie die Zahlung verweigerten. Während in Städten wie Berlin oder Jena derartige Verfahren wegen geringer Schuld schnell zu den Akten gelegt werden, fährt man in Dresden einen harten Kurs.

„Dreh- und Angelpunkt ist die Verhältnismäßigkeit“

Das energische Vorgehen trifft vor allem ins Herz jener Bürger, die sich für ihren friedlichen Protest ohnehin unter Generalverdacht wähnen. „Man hat das Gefühl, es wird in einer Tour aufs falsche Pedal getreten“, sagt Robert Koall. Der Chefdramaturg des Dresdner Staatsschauspiels hat seit dem 19. Februar immer wieder, als Privatmann und viel beachteter „ratloser Bürger“, appelliert, nicht jeden friedlichen Demonstranten als linken Gewalttäter abzustempeln.

Was ist in Dresden durcheinandergeraten?

In München trifft man den Mann, der das wissen könnte. Hans-Jürgen Papier war Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Im Mai lud ihn Innenminister Ulbig auf ein Symposium zum 19. Februar nach Dresden, er sollte das Chaos aufdröseln helfen. Papier hat Videos gesehen von den Februarkrawallen. Sie erinnerten ihn an einen Bürgerkrieg.

Papier ist kein Mann, der Blockaden gegen Rechtsextreme gutheißt. Er sagt: „Die Verfassung schützt nicht nur wertvolle Meinungen.“ Wenn der Rechtsstaat gegen Blockierer vorgehe, dann sei das kein Rechtsstaatsdefizit. Sondern die Durchsetzung des Rechtsstaates.

Nur weiß Papier wie kaum jemand sonst: Nicht der Gesetzestext allein ist immer maßgeblich. Auch der Geist eines Gesetzes ist von Bedeutung. Ein Staatsanwalt muss nicht zum letzten Mittel greifen. „Dreh- und Angelpunkt“, sagt Papier, „ist die Verhältnismäßigkeit.“ Das gelte bei einer Funkzellenabfrage wie bei Hausdurchsuchungen. Der Einfall der sächsischen Polizei in Thüringen? „Das ist in jedem Fall ein eigenartiger Stil.“

Wer rettet die Dresdner? Sie brauchten, vermutet Papier, endlich eine Figur, die alle Seiten eint. Nur fällt ihm niemand ein.

Mitarbeit: Stefan Schirmer

Dieser Text erschien am 15.09.2011 auf ZEIT Online. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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Frontal 21 hat auch einen Bericht zum Thema gemacht – diesen:

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