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Dortmund Repressionen gegen Nazis und Aussteigerangebote an Linke

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Unter Polizeischutz: Der Dortmunder Hauptbahnhof am vergangenene Wochenende. (Quelle: O. Wendtke)

Ziemlich turbulente Tage liegen hinter der Stadt Dortmund. Nachdem das Innenministerium in Nordrhein Westfalen neben zwei weiteren Kameradschaften  den „Nationalen Widerstand Dortmund“ verboten hatte, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, dass auch die geplanten neonazistischen Kundgebungen und Demonstrationen für den 31. August sowie den 1. September in Dortmund verboten bleiben. Eigentlich wollten Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet im Rahmen des „Nationalen Antikriegstag“ in Dortmund- Hörde aufmarschieren.

Kickerturniere und Kreide statt Demonstrationen und Aktionismus

Die Stadt Dortmund befand sich in der Woche vor dem ersten Septemberwochenende, an dem eigentlich der „7. Nationale Antikriegstag“ stattfinden sollte, in einem Ausnahmezustand. Ein großes Polizeiaufgebot in der gesamten Stadt sollte sowohl die Neonazis handlungsunfähig machen als auch antifaschistischen Protest erschweren. In Dortmund-Dorstfeld wurden die Neonazis auf Schritt und Tritt verfolgt. In den letzten Jahren gehörten die Tage vor dem „Antikriegstag“ zu den ereignisreichen des Jahres. Fast täglich führten Neonazis rund um den „Nationalen Widerstand Dortmund“ mit angereisten Kamerad*innen aus dem gesamten Bundesgebiet Kundgebungen durch, um für ihre Demonstration zu werben. Der Aktionismus der Neonazis blieb jedoch nicht bei angemeldeten Aktionen. Politische Gegner*innen wurden bedroht und verfolgt, Fensterscheiben von Parteibüros entglast. Nach dem Verbot des „Nationalen Widerstand Dortmund“ fehlten den Neonazis aus Dortmund kurz vor der geplanten Demonstration nicht nur die nötige Infrastruktur für „erfolgreiche“ Aktionen, sie standen auch noch mehr in den Augen der Öffentlichkeit – und damit auch der Polizei und Sicherheitsbehörden. Das verschlossene „Nationale Zentrum“ an der Rheinischen Straße, beschlagnahmte Handys und Computer und der nicht mehr vorhandene Lautsprecherwagen, der von der Polizei im Rahmen der Verbote beschlagnahmt hatte, erschwerten die Planung und Durchführung von Mobilisierungsaktionen. Und die  angemeldeten Demonstrationen gegen die Verbote wurden von der Stadt mit dem Hinweis auf die bestehenden Verbotsverfügungen gegen die Kameradschaft nicht genehmigt. Jegliche Bewegungen von Neonazigruppen in Dortmund wurde in den letzten Tagen mit Platzverweisen, Anzeigen und Festnahmen seitens der Polizei beantwortet. Selbst das Schreiben von Parolen mit Kreide wurde zur Anzeige gebracht. Denn die Neonazis setzen damit schriftlich einen direkten Bezug zum Vereinsverbot und der verbotenen Demonstrationen auf Dortmunds Straßen, so die Polizei. Durch das Verhalten der Polizei, die rund um die Uhr in Dortmund zugegen war, war es sehr schwierig für die Dortmunder Neonazis und ihren angereisten „Kamerad*innen“ für ihre Demonstration zu mobilisieren.  Sie mussten mit  heimatlichen Kickerturnieren vorlieb nehmen, um die Massen per Twitter für die kommenden nationalen Aktivitäten zu mobilisieren. Obwohl die Neonaziszene noch groß mit „dezentralen Aktionen“ rund um den „Nationalen Antikriegstag“ herumgetönt hatte, passierte am 1. September nicht viel. Etwa 20 Neonazis aus dem Ruhrgebiet versuchten in Bonn Flyer zu verteilen, scheiterten jedoch schnell an der herbeigerufenen Polizei, die die Versammlung verbot. Eine unangemeldete rechte Demonstration in Siegen veranlasste die Polizei fünf Neonazis in Polizeigewahrsam zu nehmen.

Verbote verschieben den notwendigen Diskurs

Ein konsequentes Vorgehen gegen Neonazistrukturen ist begrüßenswert und in Dortmund seit Jahren überfällig. Aber was sich in der vergangenen Woche in Dortmund abspielte, ist kein reiner Grund zur Freude. Die gesellschaftliche Stimmung erleichtert vielleicht gerade eine Problematisierung neonazistischer Gewalt. In Zeiten der Extremismustheorie kann diese Stimmung jedoch schnell kippen. Außerdem lässt sich eine extrem rechte Szene nicht mit  Demonstrationsverboten bekämpfen.  Die Diskussionen um Demonstrationsverbote und Hausdurchsuchungen verschieben die notwendige Auseinandersetzung mit dem Rassismus und Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft. Alles „extremistische“ und „gewalttätige“ wird an die  Ränder „links“ und „rechts“ von der sogenannten Mitte der Gesellschaft verdrängt. Der  Oberbürgermeister der Stadt Dortmund Ullrich Sierau präsentiert sich in diesen Tagen als guter  Antifaschist, der konsequent gegen das Naziproblem vorgeht. Dass das Innenministerium und die Polizei verantwortlich für den harten Kurs gegen die extreme Rechte sind wird dabei verschwiegen.  Anstatt sich mit eigenen Rassismen zu beschäftigen, der auch einen Grund dafür liefert, warum sich in Dortmund problemlos eine Neonazi- Kameradschaft etablieren konnte schwingt die Stadt Dortmund die Extremismuskeule. Denn der Oberbürgermeister Ullrich Sierau verbietet im gleichen Atemzug alles, was er nicht als „demokratisch“ einstuft.

Antifaschistischer Protest wird kriminalisiert

So wurde auch das Antifa-Camp, das in der Woche vor dem „Nationalen Antikriegstag“ in Dortmund stattfinden sollte, verboten. Die Initiatoren des Antifa- Camps wollten in den Tagen vor der neonazistischen Demonstrationen den öffentlichen Raum in Dortmund-Dorstfeld nutzen, um vielfältige Aktionen gegen Neonazis und Rassismus zu veranstalten. Der Oberbürgermeister  verbot jedoch einen Tag vor Beginn des Camps die Veranstaltung mit einer fadenscheinigen Begründung. Die Stadt veröffentlichte in einer Pressemittelung,  „dass nach gesicherten Erkenntnissen von der Anreise gewalttätiger Mitglieder der links-autonomen Szene in einer Größenordnung von bis zu 300 Personen auszugehen ist.“ Zudem seit mit „erheblichen Provokationen“ seitens der Nazis zu rechnen.

In den darauf folgenden Tagen stand die Stadt daher immer wieder im Fokus der Kritik von Antifaschist*innen in Dortmund. Denn anstatt sich inhaltlich mit Neonazis und dem Rassismus der Mehrheitsgesellschaft beschäftigen zu können, wurde  den Antifaschist*innen der öffentliche Raum genommen. Stadtteilspaziergänge in Dortmund-Dorstfeld konnten nicht durchgeführt werden, weil Polizist*innen die anwesenden Personen festsetzten, als Neonazis auftauchten. Auch eine Veranstaltung zum Straflager am Phoenix-See verlief nicht planmäßig.  Die anwesenden Antifaschist*innen durften den Bereich des Phoenix- Sees nicht betreten, ein Bauzaun der Stadt sperrte das Gelände ab. 

Aussteigerangebote seitens der Stadt an Antifaschist*innen

Aber nicht nur die Arbeit der Veranstalter*innen des Antifa- Camps auch lokale  Antifaschist*innen aus Dortmund wurden in ihrer Arbeit behindert. Anstatt das Engagement von Menschen anzuerkennen, die 365 Tage im Jahr in Dortmund antifaschistische Arbeit machen und  durch ihre kontinuierliche Arbeit  eine größere Sensibilität für rechte Gewalt in der Stadt geschaffen haben, wird jegliche antifaschistische Arbeit diskreditiert. In den letzten Jahren war es schon mehrmals  lokalen Antifas zu verdanken, dass rechte und rassistische Gewalttaten in den Fokus der  Öffentlichkeit rückten. Anders als  Ullrich Sierau, der vor zwei Jahren noch der festen Meinung war, dass „Dortmund  keine Nazi-Hochburg sei“ sondern „eine internationale, eine interkulturelle Stadt, in der Menschen unterschiedlichster Herkunft friedlich miteinander leben“ weisen lokale Antifaschist*innen seit Jahren auf die Problematik der Neonaziszene in Dortmund- Dorstfeld hin. Eine richtige Glanzleistung in Sachen Gleichsetzung von Neonazis und Antifaschist*innen verbuchte Ullrich Sierau am Abend des 1. September auf dem Friedensfest auf dem Wilhelmsplatz. Er bot den anwesenden Demonstrant*innen, die seine Rede mit „Heuchler“- Rufen störten an, dass die Stadt auch Mitgliedern aus dem antifaschistischen Alerta- Bündnis helfen könne, aus der Szene auszusteigen.

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