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Antisemitische Attentate in Kansas Eine Spurensuche in der militanten Neonazi-Szene

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Die "Aryan Nations" waren lange Zeit tonangebend in der US-amerikanischen Neonazi-Szene. (Quelle: flickr/cc/holotone)

Am Sonntag, den 13. April 2014, macht sich der 73-Jährige Frazier Glenn Miller auf den Weg nach Overland Park, Kansas. Hier will er das in die Tat umsetzen, wovon er Jahrzehnte lang öffentlich fantasiert hatte: den massenhaften Mord an Juden und Jüdinnen. Vor zwei jüdischen Gemeindeeinrichtungen eröffnet Miller das Feuer, ermordet den 14-Jährigen Schüler Reat Griffin Underwood und dessen Großvater William Lewis Corporon. Corporon hatte seinen Enkel zum Vorsingen für eine Aufführung von „Wer die Nachtigall stört“ zum jüdischen Gemeindezentrum begleitet. Vor einem Altenheim erschießt Miller dann noch Terri LaManno, eine 53-Jährige Therapeutin, die gerade ihre Mutter besuchen will. Die Polizei verhaftet Miller nur wenige Minuten später am Tatort. Noch bei seiner Verhaftung soll er „Heil Hitler!“ gerufen haben. Wie sich später herausstellt, ist keines seiner Opfer jüdischen Glaubens.

Eine Neonazi-Bilderbuchkarriere

Die Morde, die sich am Tag vor dem Beginn der Woche des Pessach-Festes ereigneten, sind die traurige, aber erschreckend logisch erscheinende Kulmination eines Lebens in der rechtsradikalen Szene der USA. An diesem Tag handelte Miller zwar allein, er war allerdings keinesfalls ein „isolierter Einzeltäter“. Seine Karriere in neonazistischen Zusammenhängen beginnt bereits 1973, als er der rassistischen und antisemitischen „National States‘ Rights Party“ beitritt. Die Partei verlässt Miller allerdings schnell wieder, die Mitglieder sind ihm „zu alt und nicht aktiv genug“. Er schließt sich der „National Socialist Party of America“ an. Der Aktivismus dieser Gruppe bricht sich im Attentat von Greensboro 1979 Bahn, bei dem fünf Teilnehmer einer kommunistischen Demonstration angegriffen und getötet werden. Miller wird wegen seinen Nazi-Aktivitäten aus der Armee ausgeschlossen, der er 20 Jahre lang gedient hatte, 13 davon in der Eliteeinheit der „Green Berets“.

In den 1980er Jahren ist Miller als „Grand Dragon“ im Ku Klux Klan aktiv. (Foto: Confederate Till Death/ Wikipedia)

Die freigewordene Arbeitszeit nutzt Miller nun zur Gründung der „Carolina Knights of the Ku Klux Klan“. Er beginnt illegal Waffen zu horten und die Mitglieder der Gruppierung, deren „Grand Dragon“ er ist, im Stile einer paramilitärischen Organisation auszubilden. „Um Mitglieder und Unterstützer zu gewinnen, versuchte ich Hitlers Methoden nachzuahmen“, wird Miller später schreiben. Seine Pläne werden jedoch durch eine Klage des Southern Poverty Law Center  (SPLC) durchkreuzt. Miller wird wegen Gründung einer illegalen paramiltärischen Organisation und der Bedrohung von Schwarzen belangt. Nach einem Vergleich muss er garantieren, keine paramilitärischen Ausbildungen mehr durchzuführen. Er reagiert zunächst mit der Gründung einer weiteren Klan-Gruppe, der „White Patriot Party“, und verspricht zukünftig gewaltfrei zu operieren. Aber wenig später bricht  er die Gerichtsauflagen, bildet wieder Kämpfer aus. Als Miller deswegen vor Gericht verurteilt wird, taucht er unter. Wenig später wird er mit weiteren Klanmitgliedern und jeder Menge Waffen und Sprengstoff in Missouri aufgegriffen. Wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und der Planung von Raubüberfällen sowie eines Attentats auf den Bürgerrechtsanwalt Morris Dees kommt Miller schließlich ins Gefängnis. Dort bleibt er allerdings nur 3 Jahre, weil er der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge in einem Volksverhetzungsprozess gegen andere Neonazis zur Verfügung steht.

„Feigheit ist die Überlebensstrategie des weißen Mannes“

Nachdem Miller Anfang der 90er Jahre aus dem Gefängnis entlassen wird, ist er wegen seines „Verrats“ zunächst in der US-amerikanischen Neonazi-Szene unerwünscht. Über die nächsten Jahre versucht sich Miller in der Politik und kandidiert bei mehreren Wahlen äußerst erfolglos für öffentliche Ämter. In seiner Wahlkampagne lässt Miller keinen Zweifel an seinem Hass auf Jüd*innen: „Weiße Männer sind zu den größten Feiglingen auf dieser Erde geworden. Wir haben uns zurückgelehnt und den Juden erlaubt unsere Regierung, Banken und Medien zu übernehmen.“ Nach und nach findet Miller den Weg zurück in die rechtsradikale Gemeinschaft. Er legt die Zeitschrift „The Aryan Alternative“ auf und ist aktiver Poster im Neonazi-Forum „Vanguard News Network“. Hier äußert er sich 2009 zu dem Thema „Die Juden auslöschen – Eine Frage, die Antworten sucht“: „Juden können genauso wenig wie Hundeflöhe etwas daran ändern, dass sie Parasiten sind […]. Wollen wir die Krankheit behandeln während sie uns auslöscht, oder wollen wir die gottverdammten Parasiten töten, so dass wir leben können ohne jemals wieder krank zu werden?“ Noch einen Tag vor den Morden ist Miller im VNN-Forum online, schreibt über sein Telefongespräch mit einem anderen inhaftierten Neonazi. Millers Gewaltfantasien und Überzeugungen waren also schon seit Jahren bekannt – ebenso wie seine Bereitschaft, seine Ideologie in die Wirklichkeit umzusetzen. Es ist ein Mythos, dass rassistische Mörder*innen sich „in den Schatten versteckten“, schreibt auch Heidi Beirich vom Southern Poverty Law Center.  Ermittler stellten häufig fest, dass Täter*innen ihre Ideologie offen bewarben, oft fast schon obsessiv im Internet rassistische und neonazistische Inhalte posteten.

Unter dem Namen „Rounder“ verfasst Miller über 12.000 rassistische und antisemitische Posts. (Screenshot ngn)

Die Gefahr „einsamer Wölfe“

Miller begeht seine Morde zu einem Zeitpunkt, an dem die rechte Szene in den USA eigentlich geschwächt scheint. Bürgerrechtsorganisationen wie das Southern Poverty Law Center und die US-Strafverfolgungsbehörden haben einige Erfolge vorzuweisen. 2013 ist die Zahl der „Hassgruppen“ zum zweiten Mal in Folge gesunken, von 1007 auf 939. Besonders geschwächt sind die sogenannten „Patriot Groups“, die nach der ersten Wahl von Barack Obama eine Hochphase hatten. Sie sind angetrieben von der Angst vor dem demographischen Wandel, den der erste Schwarze Präsident der USA repräsentiert: Bis 2043 wird erwartet, dass die weiße Bevölkerung nicht mehr in der Mehrheit sein wird. Hatte die erste Wahl die „Patriot Groups“ noch befeuert, nahm die Wiederwahl Obamas ihnen den Wind aus den Segeln. Viele der „Patrioten“ hatten erwartet, 2012 würde sich das weiße Volk in gerechtem Zorn gegen den Schwarzen Präsidenten erheben.

Die Neonazi-Skinhead Gruppierung „Volksfront“, die seit den 90er Jahren in der militanten Rechten den Ton angab, löst im vergangenen Jahr ihre amerikanischen Abteilungen auf, ihre vornehmlich klandestin agierenden Ableger in Europa verschwinden nach Enthüllungen über sie von der Bildfläche. Die „Volksfront“ ist ebenfalls durch ein Attentat ins Visier der amerikanischen Polizei geraten. Im August 2012 erschoss der Skinhead Wade Page sechs Menschen in einem Sikh-Tempel in Wisconsin. Pages Freundin war Mitglied der „Volksfront“, die nun zusehends unter Druck gerät. Zuviel Druck wohl für Anführer Randal Krager, der darüber hinaus der Auseinandersetzungen mit militanten Antirassist*innen müde geworden ist  nachdem diese ihn zwangen aus seiner Heimatstadt Portland wegzuziehen. Ende 2013 verkündet er die Auflösung der Skinhead-Organisation.

Die Neonazi-Skinheads von der „Volksfront“ bei einem Treffen im Jahr 2008. (Foto: P14/ Wikipedia)

Andere wichtige Gruppierungen, wie die „Aryan Nations“ und die „National Alliance“ haben mit dem Tod ihrer Anführer und Gerichtsverfahren zu kämpfen. Der steile Aufstieg der rassistischen Skinhead-Gruppe „Die Auserwählten – Crew 41“ endet schnell wieder, nachdem drei ihrer Anführer wegen Mordes und anderer Gewalttaten im Gefängnis landen. Doch Mark Potok vom SPLC warnt bereits im vergangenen Winter vor der Gefahr, die nach wie vor von der militanten Rechten ausgeht: „Die Abwesenheit starker Führer verstärkt häufig die Gewalt, die von als „einsamen Wölfen“ agierenden Angreifern ausgeht, anstatt sie zu schwächen […]. Dass die organisierte rechte Szene geschwächt ist, heißt nicht, dass sich ihre Ideen nicht verbreiten“.

Radikalisierung und Anschluss im Internet

Für das Verbreiten neonazistischer Ideen spielt das Internet mittlerweile eine entscheidende Rolle. Unter dem Namen „Rounder“ postet Miller vor seinem Attentat 12,683 Einträge im „Vanguard News Network“. Der Betreiber des Forums, der Neo-Nazi Alex Linder, weist jede Verantwortung von sich. Schuld an Millers Attentat haben natürlich, ganz allein – die Juden. Wenn man eine globale Kampagne des Genozids an Weißen begänne, müsse man sich über „ein bißchen Gegenwind“ nicht wundern, lautet Linders menschenverachtende Logik. Miller ist nicht der erste Mörder aus den Kreisen des VNN-Forums.  John Maynard, der unter dem Namen „Melcur“ postete, erschoss 2010 zunächst seine Ex-Frau und dann sich selbst während einer Verfolgungsjagd mit der Polizei. 2008 erwürgte der bekannte rechtsradikale Blogger und VNN-Nutzer James „Yankee Jim“ Leshkevich seine Frau, bevor er sich in seiner Garage erhängte. Kevin Harpham, auf VNN unter dem Namen „Joe Snuffy“ unterwegs, wurde 2011 zu 32 Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte eine Splitterbombe an der Strecke einer Gedenkparade für Martin Luther King Jr. versteckt. Die Metallteile in der Bombe wurden von Harpham mit Rattengift getränkt, um eventuelle Verletzungen zu verstärken. Glücklicherweise schlug das Attentat fehl, die Bombe explodierte nicht. Im Fall von Todd Vanbiber explodierte eine Bombe –allerdings zu früh. Vanbiber, ein Mitglied der „National Alliance“, hatte geplant 14 Rohrbomben an einer Hauptverkehrsstraße in Florida zu zünden. Eine der Bomben explodierte allerdings, während er in seinem Schuppen mit ihr hantierte. Vanbiber wurde zu 60 Jahren Gefängnis verurteilt, kam aber nach 5 Jahren frei, weil er gegen seine Komplizen aussagte. Wieder in Freiheit berät Vanbiber auf VNN andere Nutzer*innen bei Aktiengeschäften.

Das Online-Geschäft mit Nazi-Morden

Noch extremer zeigt sich die Mordbereitschaft von Neonazis im Fall des größten Nazi-Onlineforums „Stormfront.org“. Fast 100 Morde haben Mitglieder von „Stormfront“ in den vergangenen fünf Jahren begangen, enthüllt das Southern Poverty Law Center. Der bekannteste von ihnen ist Anders Breivik. Der Norweger hat genau wie andere seine gewalttätigen Absichten auf „Stormfront“ kundgetan. Doch auch der Betreiber dieses Forums ist sich keiner Schuld bewusst. Denn Stephen Donald „Don“ Black, ehemaliger Anführer des Klans in Alabama, verdient gut an den Morden seiner Nutzer. Nach dem Bekanntwerden des Attentats von Breivik klickten sich 4,481 Nutzer auf die Internetseite, ein Rekord. Über auf der Seite geschaltete Werbung macht Black auf diese Weise die Aufmerksamkeit durch Morde zu Geld. Auch Wade Page, der Mann der im Sikh-Tempel sechs Menschen erschoss, nutzte „Stormfront“. Im Anschluss an seine Morde wuchsen die monatlichen Spenden an „Stormfront“ innerhalb kürzester Zeit von etwa Sechseinhalbtausend auf über Zehntausend Dollar. „Stormfront“ wird zwar in erster Linie aus den USA heraus frequentiert, erfreut sich aber global großer Beliebtheit. Das Forum hat 286,000 Mitglieder. Es ist davon auszugehen, dass sich hier, insbesondere nach dem Ende von „thiazi.net“, auch viele deutsche Neonazis tummeln.

Gemeinsam mit Frazier Glenn Miller, dem Attentäter von Kansas, hat Forum-Betreiber Black die Bewunderung für Joseph Paul Franklin. Franklin ermordete in den 70er und 80er Jahren bis zu 20 Menschen. Die meisten seiner Opfer waren Schwarze Kinder und Männer.  Für den Mord an einem Mann, der gerade eine Synagoge in St. Louis verlassen hatte, wurde Franklin zum Tode verurteilt und 2013 hingerichtet. Für Miller war Franklin der „tapferste und größte weiße nationalistische Held den Amerika jemals hervorgebracht hat“. Andere Poster im VNN-Forum forderten Miller auf, seinem Vorbild zu folgen, anstatt im Internet große Reden zu schwingen. Am 13. April, dem Geburtstag von Joseph Paul Franklin, tat Miller eben dies.

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