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„Ein wunderbares Bild“ 8.000 Menschen gegen Nazis in Würzburg

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Anti-Nazi-Demo in Würzburg (Quelle: Johannes Hartl)

Dicht an dicht drängten sich die Menschen am Mittwoch am Bahnhofvorplatz. Mitglieder aller demokratischen Parteien, Gewerkschaften und anderer Organisationen sowie unzählige Bürgerinnen und Bürger hatten sich um kurz nach 10 Uhr versammelt, um ein Zeichen gegen den Aufmarsch des bayernweit agierenden Neonazi-Kameradschaftsnetzwerks „Freies Netz Süd“ zu setzen. Nach einleitenden Worten zogen die über 8.000 Demonstrantinnen und Demonstranten gemeinsam in Richtung Kundgebungsplatz mitten in der Innenstadt und machten sich für eine tolerante und demokratische Gesellschaft stark. Schon das Fronttransparent mit der Aufschrift „Würzburg ist bunt“ signalisierte deutlich, dass für die Anhänger von menschenverachtenden Ideologien in der unterfränkischen Stadt kein Platz ist.

Am Marktplatz angelangt, warben bereits unzählige Stände von Parteien und Organisationen für demokratische Werte und boten Informationsmaterialien über die rechtsextreme Szene an. Unterdessen sammelten sich die über 8.000 Bürgerinnen und Bürger, denen sich im Laufe des Zugs noch einige weitere Menschen anschlossen, rund um den weitläufigen Platz. Bei der folgenden Kundgebung sah der bayerische IG-Metall-Vorsitzende die Neonazis als „geistig moralische Mittäter der NSU-Mörder“ und machte sich für ein Verbot der NPD stark. Zudem erinnerte Werner Neugebauer an die Zerschlagung der Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten vor 80 Jahren und plädierte für eine offene und tolerante Gesellschaft.

Von einem deutlichen „Zeichen gegen Extremismus und Verblendung“ sprach die evangelische Dekanin von Würzburg, Edda Weise. Ganz ähnliche Worte schlug auch der Oberbürgermeister von Würzburg, Georg Rosenthal (SPD), in seiner Rede an. Menschen aus über 150 Nationen würden in Würzburg leben und die Stadt werde die Demokratie und ihre Werte verteidigen, sagte Rosenthal. Die Demonstration sei für ihn deshalb ein „wunderbares Bild“. An die Kundgebung anschließend feierten die zahlreich erschienenen Bürgerinnen und Bürger in der Würzburger Innenstadt ab 13 Uhr schließlich noch ein „Fest der Demokratie“.

Währenddessen protestierten Nazi-Gegner in der Umgebung rund um den Bahnhof gegen die Anhänger des „Freien Netzes Süd“, die sich nach und nach am Bahnhofsplatz gesammelt hatten. Proteste in Sicht- und Hörweite des Neonazi-Aufmarsches waren aber nur bedingt möglich. Die Polizei hatte im Vorfeld die Route weiträumig absperren lassen, an manchen Stellen befanden sich zweigliedrige Polizeigitter. Auf die Strecke zu gelangen, war fast unmöglich – doch nur fast. Einigen Bürgerinnen und Bürgern gelang es dennoch, einen Teil der Strecke zu blockieren. Noch ehe die Rechtsextremisten überhaupt losgelaufen waren, saßen einige Menschen in der Semmelstraße und hatten eine Blockade errichten können.

Die Nazis marschieren weiträumig abgesperrt…

Mittlerweile waren die meisten Neonazis am Bahnhof eingetroffen. Vertreten war die gesamte Führungsriege des „Freien Netzes Süd“ um Matthias Fischer und Norman Kempken sowie die Führungskader Robin Siener, Kai-Andreas Zimmermann, Daniel Weigl, Marcel Finzelberg und Uwe Meenen von der NPD-Berlin und dem rechtsextremen „Bund Frankenland“. Angereist waren die Neonazis auch aus anderen Bundesländern, unter anderem aus Hessen. Obwohl offiziell 12 Uhr als Veranstaltungsbeginn angegeben worden war, geschah bis 14 Uhr erst einmal nichts. Im Verlauf der Wartezeit wurden viele Neonazis von der Polizei kontrolliert und durchsucht. Einige Rechtsextremisten versuchten zudem, Pressevertreter einzuschüchtern und in ihrer Arbeit zu behindern und einzuschränken, was zunächst aber von Einsatzkräften der Bundespolizei unterbunden wurde. Kurz vor 14 Uhr wurde dann über einen Lautsprecherwagen RechtsRock abgespielt und die neonazistischen Ordner zusammengerufen, wenig später nahmen die rund 350 anwesenden Neonazis Aufstellung und setzten sich langsam marschierend zum Ort ihrer ersten Zwischenkundgebung in Bewegung.

Unterwegs konnten sich Anti-Antifa-Fotografen der Neonazis, die gezielt Journalisten und Gegendemonstranten ablichten, teilweise außerhalb ihres Demonstrationszuges bewegen und ungehindert agieren. Einige von ihnen waren sogar mit Presseausweisen ausgestattet und konnten von der Polizei weitestgehend ignoriert umherlaufen. Erst später fiel den Beamten zusehends diese Taktik auf, einige Neonazis wurden nach dem Ablichten von Journalisten und Bürgerinnen und Bürgern durch Einsatzkräfte der Polizei ermahnt.

Bei ihrer ersten Zwischenkundgebung nahm die Aggressivität gegenüber Pressevertretern nochmals zu. Regelmäßig stellten sich die Neonazis vor Kameras, wollten die Objektive abdecken und begannen mit dem Herumschubsen von Journalisten. In ihren Reden wollten die Neonazis den menschenverachtenden „nationalen Sozialismus“ als „Lösung“ anpreisen und versuchten, Würzburger Bürgerinnen und Bürger anzusprechen – die die Neonazis jedoch in einiger Entfernung hinter einem Absperrgitter auspfiffen und ihren Unmut zum Ausdruck brachten. Einige Anwohner der links und rechts der Kundgebung gelegenen Wohnblöcke zeigten sich zudem schockiert. „Du willst Deutschland sein?“, fragte ein empörter Anwohner einen herumstehenden Aktivisten des „Freien Netzes Süd“, der dann nur noch sehr kleinlaut war.

Aufgrund der Blockade in der Semmelstraße musste die Polizei die Route schließlich verkürzen, die Neonazis konnten dank einiger engagierten Bürgerinnen und Bürger nicht wie ursprünglich geplant zu ihrer zweiten Kundgebung marschieren. Stattdessen ging es durch enge Gassen bis knapp vor das Büro der SPD. Auf dem Weg dahin bewegten sich Journalisten und Neonazis teilweise überaus dicht beieinander, es entwickelten sich zuweilen bedrohliche Szenen. Außer den üblichen Einschüchterungsversuchen kam es allerdings zu keinen Vorfällen.

Kurz vor dem SPD-Büro stellten sich die Nazis dann im Kreis auf und lauschten ihren Rednern, die unter anderem einen „Angriff auf das System“ forderten und rassistische Reden abhielten. Wie schon bei der ersten Kundgebung wurde auch die zweite von Gegenprotesten begleitet. Einige Engagierte hatten es geschafft, sich vor dem SPD-Büro zu positionieren und gegen die menschenverachtende Hetze der Neonazis zu protestieren. Die Demonstranten wurden von Einsatzkräften der Polizei eingekesselt und später, als die Neonazis sich zurück in Richtung Bahnhof bewegten, mittels Einsatzfahrzeugen abgeschirmt.

Auf dem Rückweg grölten die Neonazis lautstark antisemitische Parolen. „Nie wieder Israel!“ und „Hilf uns Palästina, Israel gibt’s ja immer noch“, hallte es durch die weiträumig abgesperrten Straßen Würzburgs. Auch „Nationaler Sozialismus, jetzt!“ wurde lauthals skandiert. Die Stimmung war aggressiv, die Menschenverachtung wurde offen zur Schau getragen.

Zurück am Bahnhof beendeten die Neonazis den Aufmarsch offiziell und traten mit Bus und Bahn die Rückreise an. Insgesamt musste das „Freie Netz Süd“ in diesem Jahr einen deutlichen Rückgang ihrer Teilnehmerzahlen verbuchen, mit 350 Personen war der Aufmarsch ein weiterer Flop. Hatten sich bei den ersten 1.-Mai-Veranstaltungen des FNS noch bis zu 1.000 Neonazis beteiligt, so nahm die Zahl in den letzten Jahren kontinuierlich ab. 2012 waren es nur noch 420 Neonazis, diesmal ist mit 350 ein weiterer Tiefpunkt für das FNS erreicht.

Überwiegend positives Fazit der Zivilgesellschaft

Ein überwiegend positives Fazit konnte am Ende des Tages die Würzburger Zivilgesellschaft ziehen. Das Resümee des Bündnisses „Würzburg ist bunt“ fällt entsprechend zufrieden aus Der DGB-Regionsvorsitzende Frank Firsching sieht daran einen Beleg für die Weltoffenheit der Stadt. „Würzburg Stadt und Land hat am 1. Mai gezeigt, wozu es in der Lage ist. Nämlich zusammenzuhalten, wenn Nazis ihre rassistischen Parolen brüllen“, heißt es in einem Artikel auf der Homepage von „Würzburg ist bunt!“ Der Dank gelte allen, die dabei waren – und allen Partnern, Helfern, Ordnern, Medien und der Polizei.

Kritik wurde von manchen Seiten allerdings an der weiträumigen Absperrung laut, wegen der Proteste in Hör- und Sichtweite sowie Blockaden des Nazi-Aufmarsches kaum möglich gewesen sind und die Nazis ihre menschenverachtenden Parolen auf einem Großteil ihres Weges unwidersprochen von sich geben konnten.

Berichte zum 1. Mai aus anderen Städten:

Berlin

1. Mai in Berlin: Räumpanzer, Wasserwerfer und kreisende Hubschrauber (netz-gegen-nazis.de)

„Wir Fans haben eine soziale Verantwortung“ (fussball-gegen-nazis.de)

Frankfurt am Main

1. Mai Nazifrei: Erfolgreiche Blockaden in Frankfurt (Mut gegen rechte Gewalt)

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