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Solidarität mit Flüchtlingen Über den „Refugee Protest March“ in Potsdam

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Flüchtlingsdemonstration in Potsdam (Quelle: Danny Frank (Foto))

von Alina Valjent

Es sind ungefähr zwanzig Flüchtlinge und Unterstützer*innen, die im Rahmen des „Refugee Protest March to Berlin“ vor dem Landtag ihr Ansinnen vorbringen wollen. Sie tragen ein Transparent mit der Aufschrift „Brandenburger Flüchtlinge in Solidarität mit dem Protest March to Berlin“. „Wir fordern: Abschaffung der Duldung, Abschaffung der Abschiebung, Abschaffung der Gutscheine!“ skandiert ein Demonstrant, „Wir fordern Bleiberecht und freie Bewegung im gesamten Bundesgebiet.“

Leben im Übergangszustand und Arzneimittelrezepte auf Taschentüchern

Der Innenminister ist mittlerweile umringt von den Demonstrant*innen, die mit ihm reden möchten, ihm erzählen wollen, was sie bewegt und warum und wogegen sie protestieren. „Keine Zukunft“, sagt einer, „und never Urlaub“. We want to have our life, have our job“. Er hält ein grünes Papiertaschentuch hoch, darauf steht, mit Kugelschreiber gekritzelt, „Ibuprophen“. Das ist ein „Rezept“, das er vom Arzt bekommen hat. Er hat es aufgehoben und trägt es zusammen mit seinem Pass in einer kleinen Plastiktüte mit sich.

Der Innenminister im Gespräch mit einem der Flüchtlinge (Foto: Danny Frank)

Der Innenminister Dietmar Woidke (SPD) im Gespräch mit den Demonstrant*innen (Foto: Danny Frank)

Der Innenminister hört den Flüchtlingen zu und versichert, er und das Land Brandenburg würden sich für die Belange der Flüchtlinge weiterhin einsetzen, vor allem für die Abschaffung der Residenzpflicht. Er muss jedoch einräumen, dass solche Prozesse oft lange dauern. Dass die Kooperation mit anderen Bundesländern schon Früchte träge, zeige sich aber beispielsweise in dem Vertrag, den Brandenburg und Berlin vor einigen Jahren abschlossen hätten. Dieser ermögliche es Flüchtlingen, sich frei zwischen Brandenburg und Berlin zu bewegen. Damit habe man „gute Erfahrungen gemacht“. Daraufhin schütteln viele der Flüchtlinge den Kopf. „It‘s not true“, sagt eine Frau, es gebe immer noch häufig Polizeikontrollen, man könne nur kurz zu einem Besuch ausreisen.

„Das Boot ist nicht voll“

Ein weiteres Problem seien die Gutscheine. Flüchtlinge bekämen monatlich nur ein kleines „Taschengeld“, Verpflegung und Hygiene würden über Gutscheine abgewickelt. Für einen Deutschkurs reiche das Geld nicht, kostenlose Angebote gäbe es nicht überall. Auch darum solle sich der Innenminister kümmern.

Zum Abschluss nimmt Woidke das Memorandum entgegen. Ein Flüchtling ruft noch „Refugees are welcome here – das Boot ist nicht voll!“ und folgt der kleinen Gruppe, die sich in Richtung Potsdamer Hauptbahnhof bewegt.

Trotz des Regens: Gute Stimmung unter den Demonstrant*innen

Dort haben sich ungefähr hundert Menschen versammelt, die sich dem Flüchtlingsmarsch in Solidarität anschließen wollen. Zusammen läuft die Gruppe zum „Freiland“-Gelände, dem Potsdamer Zentrum Linksintellektueller und Künstler*innen, wo eine weitere Gruppe von Flüchtlingen wartet. Hier beginnt der Protestmarsch. Und hier beginnt auch der Regen, der die nächsten Stunden andauern wird. Regenschirme werden aufgespannt, bunt beschriftet mit Slogans wie „Kein Mensch ist illegal“. Sie gesellen sich zu Transparenten, auf denen „I love Bleiberecht“, „No Nazis“ und „Wir kämpfen für die Schließung der Isolationslager“ steht.

Vom „Freiland“-Gelände aus läuft die Gruppe, mittlerweile ungefähr dreihundert Menschen, zum Rathaus. Aus einem Geländewagen am Ende des Zuges klingt Reggae-Musik. Unter die Sprechchöre der Flüchtlinge mischen sich die der antifaschistischen Bewegungen: „Bleiberecht für alle und auf Dauer, um Europa keine Mauer!“

Eine Demonstrantin spricht in ein Megafon, das ein anderer Demonstrant ihr hinhält (Foto: Danny Frank)

Eine Demonstrantin spricht in ein Megafon, das ein anderer Demonstrant ihr hinhält (Foto: Danny Frank)

Am Rathaus wird zum ersten Mal Halt gemacht. Passant*innen, die an der Bahnhaltestelle warten, schauen verwundert bis genervt auf die bunte Gruppe, während aus den Fenstern der umliegenden Häuser interessierte Potsdamer Bürger*innen auf den Platz vor dem Rathaus blicken.

Was macht eigentlich die NPD?

Vom Rathaus geht es weiter zur Glienicker Brücke, wo die Abschlusskundgebung stattfinden soll. Je mehr sich der Zug der Glienicker Brücke nähert, desto präsenter wird die Polizei. Während zunächst nur vereinzelt Polizist*innen am Straßenrand stehen, sammeln sich hier nun Gruppen von Polizist*innen, die den Zug jeweils ein Stück des Weges begleiten. „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ ruft die Antifa.

NPD-Mitglieder schwenken Flaggen (Foto: Danny Frank)

Demonstranten schwingen NPD- und Deutschlandflaggen (Foto: Danny Frank)

Kurz vor der Glienicker Brücke erreicht die Polizeipräsenz ihren Höhepunkt. Hier soll eine Kundgebung der NPD unter dem Motto „Asylrecht ist kein Selbstbedienungsladen“ stattfinden. Angekündigt waren 20 bis 30 Gegendemonstrant*innen, angekommen sind wohl bloß acht. Aber auch das ist nicht zu erkennen. Vor dem Haus, an dem die NPD ihre Kundgebung abhalten wollte, stehen ein Bahnwaggon, mehrere Polizeiautos und etwa hundert Polizisten, die wie eine Mauer als Abschirmung funktionieren. Und tatsächlich kann man die NPD-Kundgebung weder sehen noch hören. Das einzige, was man sieht, ist eine Fahne, die einer der NPDler unbeirrt schwingt. Einsam lugt sie hinter einem Polizeiauto hervor. Eine kurze Unruhe entsteht, jemand wirft einen Regenschirm in Richtung der Fahnen, das war‘s.

Vor den Blicken der Demonstranten verborgen: Die Kundgebung der NPD (Foto: Danny Frank)

Vor den Blicken der Demonstrant*innen verborgen: Die Kundgebung der NPD (Foto: Danny Frank)

Zeit für den nächsten Schritt

Dass der Ansatz der Flüchtlingsdemo nicht Separation durch Hass, sondern Einigung durch Gemeinsamkeit ist, zeigt sich kurz darauf wieder. Einige junge Männer schlagen rhythmisch auf ihre Pauken ein, es bildet sich ein kleiner Kreis, in dem zwei Flüchtlinge zu tanzen beginnen. Die Umstehenden wippen dazu im Takt. Ein Demonstrant malt mit dem Finger ein Herz auf das beschlagene Fenster eines Polizeiautos, aus dem ein verdutzter Polizist herausschaut.

Die missglückte NPD-Kundgebung fügt sich indes in die Reihe gescheiterter Mobilisierungsversuche der rechtsextremen Partei in Potsdam ein, während die Stadt beweist, dass sie kein öffentlicher Schauplatz für rechtsradikale Ideologien seien will. Den nächsten Schritt muss nun das Land Brandenburg machen – die gesetzliche Verankerung der Flüchtlingsforderungen.

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